Als ich nach Österreich kam, war ich erstaunt zu sehen, wie viele Kunsthandwerker ihre Werkstätten als Manufakturen bezeichneten. Neugierig geworden, erklärten sie mir, dass der Begriff “Manufaktur” vom lateinischen Wort “manus” für Hand und “factere” für erbauen, tun, machen oder herstellen abgeleitet ist. Mit dem Begriff Manufaktur möchten sie also auf die handgefertigte Natur ihrer Produkte hinweisen. Auf den ersten Blick macht diese Erklärung Sinn. Heutzutage verwenden sie den Begriff jedoch, um ihre handwerkliche Fertigkeit und die damit verbundene Fähigkeit zur Herstellung hochwertiger Luxusartikel von den billigen Massenwaren der Discounter abzugrenzen.
Manufaktur: Eine historische Perspektive
Historisch betrachtet weist der Begriff “Manufaktur” auf eine etwas andere Bedeutung hin. Eine Manufaktur liegt in der Entwicklung zwischen einem Handwerksbetrieb und einer Fabrik. Sie ist weder ein reiner Handwerksbetrieb noch eine vollständig industrialisierte Fabrik. Ein wichtiges Kriterium ist die Art der Produktion. Mit dem Aufkommen der Manufakturen begann die Arbeitsteilung. Die zunehmende Aufteilung der Arbeitsabläufe hatte das Ziel, eine große Menge an Waren herzustellen. Durch die Aufspaltung des Produktionsprozesses konnten Hilfskräfte eingestellt werden, die nur für einen bestimmten Teilbereich ausgebildet werden mussten. Dadurch wurden die Lohnkosten niedrig gehalten. Manufakturen waren vor allem zur Zeit des Merkantilismus größere Gewerbebetriebe, die Exportgüter herstellten, insbesondere Tuch, Seide, Porzellan und Spiegel. Sie erhielten staatliche Unterstützung und durften billige Arbeitskräfte aus Gefängnissen, Armen- und Waisenhäusern rekrutieren. “Sozial erfasste die Manufaktur überwiegend eine außerzünftige städtische Bevölkerung. Der Übergang zur Industrie erfolgte vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.”¹²
Handwerksbetrieb: Gelebte Tradition
In einem klassischen Handwerksbetrieb gibt es den Meister, Gesellen und Lehrlinge. Der Meister gibt sein Wissen und seine Fertigkeiten an die Gesellen und Lehrlinge weiter. Es ist eine Ausbildungsform, die durch “learning by doing” gekennzeichnet ist. Im Laufe der Lehrjahre sollen die Lehrlinge vor allem ein Gespür für das Material entwickeln. Die Produktionsmittel gehören dem Handwerker selbst. Es gibt keine Arbeitsteilung. Eine Person ist an der Herstellung eines Stückes beteiligt. Eine Aufteilung der Arbeitsschritte und die Zuordnung zu mehreren Personen sind in einem klassischen Handwerksbetrieb nicht vorgesehen. Ein Handwerker hinterlässt seine individuelle Handschrift auf den Erzeugnissen. Das, was er herstellt, ist von seiner Persönlichkeit geprägt. Handwerkliche Tätigkeiten sind nicht anonym und der einzelne Handwerker ist nicht austauschbar wie ein Hilfsarbeiter in einer Fabrik.
Die Bedeutung für die Töpferkunst
Was bedeutet das für die Töpferei? Bis man auf der Töpferscheibe aus Ton ein Gefäß drehen kann, so wie man es sich vorstellt, dauert es einige Jahre. Drei Lehrjahre sind dafür eine angemessene Zeit. Das Drehen auf der Töpferscheibe erfordert eine lange Übungszeit, es ist keine einfache Tätigkeit. Ganz anders ist das Herstellen von Gefäßen mit Hilfe von Gießformen in einer Porzellanmanufaktur. Diese Technik kann in kurzer Zeit erlernt werden und von jedem ausgeführt werden. Es handelt sich also um eine anonyme Tätigkeit. Bei Scheibentöpfen kann man hingegen sehen, welche Form von welchem Töpfer gedreht wurde, auch wenn alle die gleiche Form herstellen. Die Persönlichkeit des Töpfers fließt in das Gefäß mit ein. In einer Manufaktur werden die Formen von Designern und die Glasuren von Ingenieuren entwickelt. In einem Handwerksbetrieb entwickelt der Töpfer seine ganz eigene Formsprache und vor allem seine individuelle Glasur, die die Werkstatt repräsentiert und streng gehütet wird. Aber vor allem spürt man, dass Gefäße, die auf einer Töpferscheibe gedreht wurden, eine “Seele” haben.
Die historische Entwicklung im Blick behalten
Können wir die historische Entwicklung eines Begriffs einfach ignorieren? Nein. Es ist wichtig, die historische Bedeutung von Manufaktur und Handwerk zu verstehen, um die Unterschiede zwischen den beiden zu schätzen. Die heutige Verwendung des Begriffs “Manufaktur” ist eher eine Anspielung auf handwerkliche Fähigkeiten und hochwertige Luxusprodukte. Es ist jedoch auch wichtig zu erkennen, dass das Handwerk eine lange Tradition hat und individuelle Handschrift und Persönlichkeit in den Produkten zum Ausdruck bringt. Letztendlich liegt es an uns, den Reichtum und die Vielfalt beider Konzepte zu schätzen und ihnen den gebührenden Platz in unserer Welt zu geben.
¹ Wörterbuch zur deutschen Geschichte (1987), Bd. 2, Stichwort Manufaktur
² Meyers großes Taschenlexikon (1987), Bd. 14, Stichwort Manufaktur