Im Januar 2020 habe ich beschlossen, graue Haare wachsen zu lassen. Ohne Strähnchen zu färben und mich nicht zu verstecken. Obwohl ich bereits zuvor den Versuch der Haarentfärbung unternommen hatte, wusste ich, dass es ein mühsamer und unglamouröser Prozess ist. Monatelang würde ich wie ein Zebra herumlaufen und zwischendurch Selbstzweifel haben. Damals ahnte ich jedoch nicht, dass es fast zwei Jahre dauern würde, bis die Entfärbung abgeschlossen wäre.
Januar 2020: Der Entschluss
Ich befinde mich in den Winterferien in Südtirol und sitze nach einer Wanderung in meinem Hotelzimmer. Es geht mir gut, aber ich bin schon lange von den gesundheitlichen und finanziellen Nachteilen des regelmäßigen Haarefärbens genervt. Der Aufwand, meine dunklen Haare alle paar Wochen nachfärben zu lassen, ist immer größer geworden. Also frage ich mich in diesem Moment, wie ich eigentlich aussehen würde, wenn ich nicht mehr versuchen würde, mein Alter zu kaschieren. Dieses Foto bringt es auf den Punkt und lässt mich meinen Wunsch nach einem authentischeren Äußeren erkennen.
April 2020: Ein unerwarteter Helfer
Im Urlaub in Südtirol verbreiten sich die ersten Nachrichten über ein neuartiges, gefährliches Virus. Das öffentliche Leben wird heruntergefahren, und auch die Friseursalons sind geschlossen. In dieser Zeit finde ich Ruhe und die Chance, meine Haarentfärbung ohne Versuchungen fortzusetzen.
Mai 2020: Geduld ist gefragt
Nach sechs Monaten sind erst vier Zentimeter meiner Haare entfärbt. Es ist offensichtlich, dass das Ergrauen keine schnelle Veränderung ist. Aber das ist okay, denn ich erinnere mich daran, dass auch große Persönlichkeiten wie Marie Antoinette Zeit brauchten, um ergrauen.
Juli 2020: Gewöhnungsbedürftige Streifen
Ich liebe Streifen, aber auf meinem Kopf sind sie jetzt ungewohnt. Dennoch beschließe ich, sie zu betonen und trage nun oft gestreifte Shirts und Kleider. Auf diese Weise mache ich aus meiner besonderen Haarfarbe ein Stilmittel.
September 2020: Der Tiefpunkt
Aufgrund eines gesellschaftlichen Ereignisses, einer Hochzeit von Freunden, verliere ich kurzzeitig meinen Fokus und meine Selbstsicherheit. Ich fühle mich nackt und unwohl mit meinen zweigeteilten Haaren, was dazu führt, dass ich mich auf der Feier verstecke und mich nicht mehr richtig wohlfühle.
Dezember 2020: Weiß wie Puderzucker
Es gibt Dinge, die man nicht vorhersehen kann, wie zum Beispiel die Frage, ob meine natürliche Haarfarbe nun weiß oder grau ist. Bei näherer Betrachtung erkenne ich, dass mein Haaransatz bereits sieben Zentimeter weiß ist. Von nun an wird der Weg leichter, denn ich habe keinen Bedarf mehr für Strähnchen. Meine natürliche Haarfarbe ist bereits gesträhnt, von schwarz über braun bis hin zu silbrig und weiß.
April 2021: Die Blondine
Wir machen neue Fotos für den Blog. Als ich die Bilder sehe, fällt mir auf, dass ich weicher, harmonischer und fröhlicher aussehe als zuvor. Fast wie eine Blondine. Eine Freundin hätte dazu gesagt: “Dass du auch immer übertreiben musst.”
Oktober 2021: Zurück in Südtirol
Ich komme gerade aus dem Pool und bin erleichtert. Früher hatte ich immer die Sorge, dass meine Haarfarbe im Wasser ausbleichen würde. Doch jetzt sind meine Haare weißer als die gekälkte Wand hinter mir. Milchig weiß mit einem Hauch von Bernstein.
November 2021: Stolz auf meinen Weg
Der lange Weg zu meinen grauen Haaren hat mich gelehrt, dass ich viele Unterstützer habe. Sie haben mir in Momenten der Unsicherheit Mut gemacht und mich darin bestärkt, meinen Vorsatz umzusetzen. Ich bin jetzt eine ältere Frau mit grauen Haaren, und ich bin gerne so. Es gibt kein Hadern, kein Gefühl des Defizits oder Bedauern. Mein Weg hat mich gelehrt, dass Ästhetik und Alter sich nicht ausschließen, sondern einander ergänzen können.
Graue Haare wachsen zu lassen war eine persönliche Entscheidung, die mich zu einem authentischeren Aussehen und größerem Selbstbewusstsein geführt hat. Ich bin stolz auf meinen Weg und darauf, dass ich meine Haare nicht mehr färbe.