Notfallplan Gas: Werden die Kosten jetzt richtig teuer?

Notfallplan Gas: Werden die Kosten jetzt richtig teuer?

Gaskunden werden die Auswirkungen der gedrosselten Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 wahrscheinlich viel stärker spüren als bisher angenommen. Schon in der kommenden Woche könnte die sogenannte Alarmstufe eintreten. Die Bundesregierung bereitet die Gasunternehmen hinter den Kulissen darauf vor. Ein E.on-Sprecher bestätigt: “Wir erleben eine Zuspitzung der Lage”. Wirtschaft und Politik haben sich zwar intensiv auf diese Situation vorbereitet, aber jetzt müssen noch größere Anstrengungen unternommen werden, um Energie einzusparen, wo immer es möglich ist.

Die Folgen einer Alarmstufe

Die Ausrufung der Alarmstufe hätte dramatische Folgen und könnte Erdgas für Unternehmen und Privathaushalte unmittelbar und erheblich verteuern. Ein besonderer Passus im Energiesicherungsgesetz sorgt für Unsicherheit. Die Bundesregierung beschloss Mitte Mai die Novelle des Gesetzes von 1975. Für den Fall einer Alarmstufe ist darin ein Sonderkündigungsrecht vorgesehen: Gaskonzerne dürfen dann die zusätzlichen Kosten auf ihre Kunden abwälzen. Die vereinbarten Tarife im Gasvertrag können gekündigt werden – eine Woche Vorwarnzeit genügt dafür. Und eine weitere Woche später dürfen die Versorger die Preise sogar nochmals erhöhen.

Für Industrie und private Haushalte wird es dann teuer, genaue Schätzungen sind jedoch kaum möglich. Aus diesem Grund betont das Wirtschaftsministerium, dass es keinen Automatismus für die Preisanpassung gibt. Erst wenn die “erhebliche Reduzierung der Gasimporte” offiziell von der Bundesnetzagentur bekannt gegeben wird, würde der Preismechanismus in Gang gesetzt. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass die Bundesnetzagentur nach einer möglichen Ausrufung der Alarmstufe unmittelbar diese Feststellung treffen wird. Beobachter gehen davon aus, dass dies letztendlich im Kanzleramt entschieden wird, aufgrund der enormen Auswirkungen.

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Stufe Alarmstufe wegen Kohlekraftwerken notwendig

Es ist durchaus möglich, dass die Bundesregierung die Alarmstufe ausruft, ohne dass die Gaspreise für Industrie und Endkunden sofort steigen. Die Ausrufung der Alarmstufe wäre jedoch aus anderen Gründen notwendig: Seitdem der russische Staatskonzern Gazprom die Gasströme durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 auf 40 Prozent der üblichen Liefermenge reduziert hat, wächst die Sorge in Politik und Energiewirtschaft täglich, dass Deutschland seine Gasspeicher nicht ausreichend füllen kann, bevor es im Herbst wieder kälter wird. Um Gas zu sparen, plant die Bundesregierung die Wiederinbetriebnahme älterer Kohlekraftwerke. Die Ausrufung der Alarmstufe ist auch dafür Voraussetzung. Das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, das am 8. Juli den Bundesrat passieren soll, enthält diese Regelung.

Die Alarmstufe ist die zweite Stufe im Notfallplan Gas, die erste – die Frühwarnstufe – wurde bereits im März vom Wirtschaftsministerium ausgerufen. Der Notfallplan Gas regelt das Vorgehen, wenn sich die Versorgungslage deutlich verschlechtert. Im Ernstfall legt er die Priorisierung bestimmter Gruppen fest, wenn das Gas knapp wird – private Haushalte, Krankenhäuser und Gaskraftwerke, die gleichzeitig Fernwärme für Wohngebäude erzeugen, hätten Vorrang. Die Frühwarnstufe dient vor allem der Vorbereitung auf eine Verschlechterung der Lage. Ein Krisenteam aus Behörden, Energieversorgern, Fernleitungsnetzbetreibern und Vertretern der Bundesländer trifft sich regelmäßig und berät die Regierung. Gasversorger und Netzbetreiber liefern der Bundesregierung regelmäßige Lageberichte.

Die Alarmstufe greift, wenn ein “Ausbleiben” oder eine “gravierende Reduzierung der Gasströme” vorliegt und die Speicherstände anhaltend niedrig sind. Dann wird der Krisenstab noch häufiger zusammenkommen. Unternehmen werden jedoch noch nicht zwangsweise abgeschaltet, dafür muss die letzte Stufe des Notfallplans ausgerufen werden.

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Zwar werden Privathaushalte bei den derzeit hohen Temperaturen die Auswirkungen dieser Entscheidungen kaum spüren. Sie verbrauchen derzeit kaum Gas zum Heizen, sondern eher zum Kochen oder zur Warmwasseraufbereitung. Die Gasrechnungen erhalten viele erst später. In der Branche befürchtet man jedoch, dass die Politik nicht den Mut hat, den Endkunden deutlich zu sagen, wie dramatisch die Lage ist. In Händlerkreisen heißt es: “Die Politik muss den Endkunden noch klarer sagen, dass die Preise weiter steigen werden – das ist in den vergangenen Tagen zu kurz gekommen”.

Mehr als 1.000 Euro zusätzliche Kosten

Verbraucherschützer warnen bereits seit Monaten davor. Ein Haushalt mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden Erdgas müsste aufgrund der Preiserhöhungen der letzten Monate bereits mit jährlichen Zusatzkosten von 1.000 bis 2.000 Euro rechnen. In den letzten Tagen ist der Börsenpreis für Gas bereits stark gestiegen. Die Kosten für den Einkauf und Vertrieb machen etwa die Hälfte des Endkundenpreises aus.

Im Herbst könnten die Gaspreise dann so stark steigen, dass dies nicht nur Haushalte mit geringem Einkommen, sondern auch solche mit mittlerem Einkommen erheblich belasten würde, sagt Engelke von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Für diesen Fall fordert er ein Moratorium für Gaskunden, die ihre Rechnung nicht bezahlen können, sowie finanzielle Unterstützung wie den Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger, der an die tatsächliche Entwicklung der Preise gekoppelt ist.

Es ist unklar, wer darauf achtet, dass Gashändler den Endkundenpreis nicht übermäßig erhöhen. Im Gegensatz zum Tankstellenmarkt sind die Endkundenpreise im Gas- und Strommarktgeschäft viel weniger transparent, und es gibt bisher keine Markttransparenzstelle für Gaspreise.