Der Irak-Krieg hat nicht die Kriterien eines Präventivkrieges erfüllt. Amerika forderte auch keinen Präventivkrieg, sondern einen Präemptivkrieg. Was ist eigentlich der Unterschied? Erstaunlicherweise liest man darüber nichts, obwohl offensichtlich sein müsste, dass ein Präventivkrieg nicht deckungsgleich mit einem Präemptivkrieg ist.
Präventivkrieg vs. Präemptivkrieg
Während ein Präventivkrieg die Erfüllung von Kriterien fordert, um etwa die unmittelbare Gefahr der beabsichtigten Aggression eines Staates beurteilen zu können, sind Kriterien für einen Präemptivschlag, geschweige denn -krieg, schlichtweg unbekannt. Als Präventivkrieg wäre ein Krieg dann legitim, ginge es um “präventive Selbstverteidigung” gemäß der Caroline-Klausel. Diese besagt, dass keine andere Wahl der Mittel bleibt beziehungsweise die Möglichkeit von Verhandlungen ausgeschöpft ist. Nur gemessen an solchen Kriterien ist ein Präventivkrieg überhaupt denkbar. Da ein bewaffneter Angriff auf die Vereinigten Staaten oder einen Anrainerstaat des Irak, dem die USA dann hätten zur Hilfe kommen können, nicht unmittelbar bevorstand, konnte im Irak-Krieg davon keine Rede sein.
Fazit
Beim Präventivkrieg muss erst einmal eine Aggression stattgefunden haben oder nachweisbar bevorstehen. Unter keinen anderen Vorzeichen darf Gewalt in der internationalen Gemeinschaft ausgeübt werden, auch nicht wegen vorhandener Differenzen in politischen oder religiösen Angelegenheiten oder gar, um einen unliebsamen Diktator durch eine Intervention von außen zu stürzen. Wird keine unmittelbare Kriegsgefahr nachgewiesen, darf es per se auch nicht zu kriegerischen Handlungen gegen einen Staat kommen. Generell müssen drei Grundbedingungen vorhanden sein, um von einer unmittelbaren Bedrohung zu sprechen:
- Eine erkennbar aktive Kriegsvorbereitung
- Eine sich manifestierende Absicht, einem anderen Staat Schaden zufügen zu wollen
- Es muss eine Situation existieren, in der Abwarten statt Kämpfen das Risiko erhöht, Opfer einer Aggression zu werden.
Nur wenn diese drei Kriterien erfüllt sind, kann ein Präventivkrieg oder Präventivschlag als legitimiert gelten.
Ein “präemptiver Krieg” – also ein Krieg, der das Aufkommen möglicher Gefahren bereits im Keim ersticken soll – ist völkerrechtlich hingegen gar nicht vorgesehen und somit untersagt. Kurzum, das Völkerrecht kennt weder Präemptivkriege noch -schläge.
Versuche einer Völkerrechts-Legitimation
Es hat in der Vergangenheit bereits “preemptive strikes” gegeben. Dieser Versuch einer begrifflichen Legitimation folgte dem israelischen Angriff auf einen irakischen Atomreaktor sowie der Bombardierung einer mutmaßlichen Giftgasfabrik im Sudan 1998. Während die UN per Resolution den israelischen Angriff verurteilten, und die militärstrategische Selbstherrlichkeit der Amerikaner mit einer bis heute unbekannten Zahl an sudanesischen Toten faktisch keiner weiteren Kommentierung bedarf, ist der analoge Versuch zur Rechtfertigung des Irak-Krieges höchst problematisch. Das resultiert nicht nur aus der Tat selbst, sondern dem Umstand, dass die kriegstreibenden Kräfte aus der Doktrin der “preemptive strikes” auch eine völkerrechtlich relevante Rechtfertigung ihres Vorgehens herleiten wollen.
Die Argumente vieler Militärs, die Idee des Präemptivkrieges sei durch die Unmittelbarkeit – sprich: Einsatzschnelligkeit – moderner Waffenträgersysteme begründet, ist größtenteils unstrittig in den Stäben wie in der Politik. Nichtsdestoweniger stellt sich die Frage, wie man derartige Operationen nachprüfbar legitimiert. Während Grenzverletzungen, Generalmobilmachungen, Militärallianzen oder Marineblockaden bei Präventivkriegen als Bedrohung gelten können, ist bei Präemptivkriegen nicht klar, worin rechtfertigende Kriegsgründe bestehen könnten. Präemptivschläge basieren vielmehr auf potenziellen, wenn auch nur vermutbaren Gefahren.
Fehlende Legitimität und Konsequenzen
Nicht auf Fakten basierende Beweise sollen Präemptiv-Kriege legitimieren, sondern Intentionen und nicht nachweisbare Aggressionsvermutungen. Diese diffusen Begründungen lassen sich jederzeit missbrauchen, um Vorbeugekriege aus Machtinteresse führen zu können. Es sind keine Kriterienkataloge bekannt, die es erlauben würden, die genannten Kriegsgründe zu hinterfragen und zu überprüfen. Vor allem lässt sich nicht belegen, ob und wann der Einsatz vorhandener Waffen erfolgen könnte und eine präemptive Antwort rechtfertigen würde – der Irak-Feldzug war exemplarisch dafür.
Das Entscheidende für den Westen sollte daher – selbst noch beim Vorliegen von Evidenz – die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittelwahl sein. Insofern war der deutsche Standpunkt konsequent: Wer immer von der Androhung derselben zu Kriegshandlung übergehen will, schuldet dem Weltsicherheitsrat und der Weltöffentlichkeit neben Beweisen auch den Nachweis, dass sämtliche politischen Bemühungen versagt haben oder chancenlos bleiben werden. Der Irak schien aber vor dem Krieg weniger angriffsfähig denn je. Auch lassen sich die von den Geheimdiensten der kriegführenden Regierungen kolportierten Gefährdungsszenarien bis heute an Ort und Stelle nicht verifizieren.
Der Präemptivkrieg gegen den Irak hat die Normen der Staatengemeinschaft gebrochen. Das Völkerrecht wurde in seiner Bedeutung demonstrative degradiert – was an dessen Stelle treten könnte, ist nicht einmal ansatzweise klar. Der Präemptivkrieg gegen den Irak war insofern primär ein Versuch der USA, über die Begriffshoheit der internationalen Gemeinschaft zu siegen. Diese Entweihung des Völkerrechts ist ein einzigartiges, gefährliches realpolitisches Großexperiment mit unabsehbaren Folgen, die den Interessen der USA selbst großen Schaden zufügen können. Der Irak-Krieg könnte als Präzedenzfall für weitere nicht-legitimierbare Kriege dienen.
Quelle: Ulrich Arnswald, Gründungsdirektor des European Institute for International Affairs