In diesem Ratgeber möchten wir uns mit dem Thema “Erziehung und ihre Auswirkungen auf Geschlechterrollen” beschäftigen. Es ist ein spannendes Thema, das oft kontrovers diskutiert wird. Hat die Erziehung wirklich Einfluss auf die Geschlechterrollen? Spielen Jungen wirklich lieber mit Autos und Mädchen mit Puppen? Oder liegt es daran, dass Jungen von klein auf nur Autos und typisch männliche Spielzeuge bekommen? Und was passiert mit einem Jungen, der lieber mit Puppen spielt? Hat das überhaupt Auswirkungen auf seine Entwicklung oder bilden wir uns das nur ein?
Was ist eine geschlechtsspezifische Erziehung?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst den Begriff “Geschlechterrolle” klären. Geschlechterrollen sind bestimmte Verhaltensweisen, die den erwarteten und erlernten Rollen für Jungen und Mädchen entsprechen. Dazu gehören die Dinge, mit denen sie spielen, die Kleidung, die sie tragen, die Eigenschaften, die sie betonen, und die Aktivitäten, denen sie nachgehen. Diese Geschlechterrollen sind oft Vorurteilen unterworfen und existieren in unseren Köpfen, weil sie uns seit unserer Kindheit von der Gesellschaft und unseren Eltern vermittelt wurden.
Es geht nicht nur um typische Kleidung oder geschlechtsspezifische Sportarten. Durch Geschlechterrollen werden auch Erwartungen an das Verhalten eines Menschen gesetzt und gesellschaftliche Verpflichtungen festgelegt. Zum Beispiel die Vorstellung, dass Frauen für den Haushalt und die Kindererziehung verantwortlich sind, während Männer das Geld verdienen und wichtige Entscheidungen treffen. Glücklicherweise hat sich unsere Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten weiterentwickelt, aber der Ursprung dieses Denkens ist immer noch vorhanden.
Warum erziehen Eltern ihre Kinder oft nach Geschlechterrollen?
Die Erziehung nach Geschlechterrollen erfolgt meist unbewusst. Wir erziehen unsere Kinder oft ähnlich wie wir selbst erzogen wurden. Auch wenn viele Kinder im Jugendalter gegen ihre Eltern rebellieren, nähern sich beide Seiten im Laufe der Zeit meist wieder an. Die meisten Menschen entdecken irgendwann Verhaltensmuster und Denkweisen, die sie von ihren Eltern übernommen haben. Das, was uns unsere Eltern vorgelebt haben, haben sie wiederum von ihren Eltern gelernt. Deshalb ist es auch so schwer, mit den klassischen Geschlechterrollen zu brechen. Für die meisten Eltern ist es ungewöhnlich, wenn ihr Sohn plötzlich Kleider tragen möchte oder sich schminkt. Ebenso versuchen Eltern oft, das Verhalten ihrer Töchter zu unterbinden, wenn diese sich eher jungenhaft verhalten oder Interessen haben, die als untypisch für Mädchen gelten.
Manche Eltern machen sich weniger Sorgen um die Reaktion ihres Kindes, sondern mehr um das Gerede der Nachbarn und die Meinungen der Großeltern. Der Einfluss der Gesellschaft ist nicht zu unterschätzen, viele Menschen passen sich lieber an und schwimmen mit dem Strom, als Außenseiter zu sein. Es ist verständlich, dass Eltern ihrem Kind ein glückliches und gesellschaftlich akzeptiertes Leben wünschen. Aber oft erziehen sie ihre Kinder unbewusst nach den klassischen Geschlechterrollen.
Welche Auswirkungen hat diese Erziehung auf unsere Kinder?
Bei der Erziehung spielt die Nachahmung eine wichtige Rolle. Kinder spiegeln das Verhalten ihrer Eltern wider. Kinder lernen durch Vorbilder, und die wichtigsten Vorbilder für ein Kind sind ihre Eltern. Später ändern sich diese Vorbilder häufig, wenn Kinder idole aus Popmusik oder Youtube haben. Aber für kleine Kinder sind Eltern die ganze Welt und die wichtigsten Bezugspersonen. Alles, was sie in der Familie lernen, prägt sie für ihr gesamtes Leben.
Wenn ein Kind immer wieder hört, dass Jungen nicht weinen dürfen und stark sein müssen, wird es wahrscheinlich ein Leben lang Schwierigkeiten haben, seine Gefühle zu zeigen. Gleiches gilt für Mädchen, denen oft gesagt wird, dass sie bestimmte Dinge nicht schaffen können, weil sie angeblich zu schwach sind. Solche Ungleichbehandlungen, die bereits im Kindes- und Jugendalter verankert sind, hängen eng mit der späteren Berufswahl, den Karrierechancen und der Partnerwahl zusammen. Eltern sind die Vorbilder ihrer Kinder, und ihre Beziehung zueinander hat einen großen Einfluss auf den Lebensweg der Kinder.
Beeinflusst die Erziehung nach Geschlechterrollen die Bildung eines Kindes?
In Deutschland führt die starre geschlechterrollenspezifische Erziehung dazu, dass Jungen oft keine Bücher lesen, weil dies als “Mädchending” angesehen wird. Dies führt während der Schulzeit zu schlechteren Leseleistungen bei Jungen im Vergleich zu Mädchen. Auch bei sozialen Kompetenzen sind Jungen oft den Mädchen deutlich unterlegen. Die Ungleichbehandlung führt bei Mädchen meist zu frühem Konkurrenzdenken gegenüber anderen Mädchen und zu Vorurteilen sowie einem geringeren Selbstvertrauen. Geschlechtsneutrale Erziehung und Pädagogik versuchen dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Es gibt entsprechende Fort- und Weiterbildungen in diesem Bereich für Erzieherinnen und Erzieher in Krippen und Kindergärten. Außerdem wird an der Sensibilisierung der Eltern gearbeitet, Schulbücher und Spielzeug geschlechtsneutral zu gestalten.
Liegt es an den Genen, dass Jungen mit Autos und Mädchen mit Puppen spielen?
Die Wissenschaft ist sich uneinig darüber. Es gibt prägende Faktoren wie Erziehung und Umwelt, die eine Rolle spielen. Ab dem 18. Lebensmonat werden Kinder sich ihres Geschlechts bewusst. Einige Forscher gehen davon aus, dass die geschlechtsspezifischen Eigenschaften und Interessen durch Bestätigung entstehen. Wenn einem Jungen ein Traktor oder ein Fußball geschenkt wird und die Eltern sich freuen, wenn er damit spielt, prägt das seine Vorlieben.
Auch bei Menschenaffen gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass männliche Affen eher mit Stöcken schlagen, während weibliche grüne Meerkatzen eher mit Puppen spielen. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass Geschlechterrollen neben Prägung und Erziehung auch auf Veranlagungen zurückzuführen sind. Laut Doris Bischof-Köhler, Professorin für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der LMU München, spielen auch die Evolution und geschlechtliche Veranlagungen eine Rolle.
Die Wissenschaft ist sich grundsätzlich uneinig darüber, ob weibliche und männliche Verhaltensmuster angeboren oder anerzogen sind. Es steht jedoch fest, dass sich die Gehirne von Mädchen und Jungen leicht unterschiedlich entwickeln. Pädagogen sind sich jedoch einig, dass einige Verhaltensmuster eindeutig anerzogen sind.
Soziologischer Blick auf Geschlechterrollen
Die Soziologie beschäftigt sich schon lange mit der Geschichte, die zu unserem heutigen gesellschaftlichen Zustand geführt hat. Typische Verhaltensmuster für jeweilige Geschlechterrollen existieren bereits seit Jahrhunderten, weshalb die Gesellschaft oft wenig Interesse an Veränderungen hat. Ausbrechen aus vorhandenen Strukturen macht Angst, da es zu Ausgrenzung führen kann.
Es gibt viele Eltern, die Kritik oder Ablehnung erfahren, wenn sie sich nicht an die traditionellen Geschlechterrollen halten. Wenn eine Mutter ihren Sohn bunt kleidet und nicht nur auf Blau oder Grau setzt, kann es schnell zu Diskussionen mit der Schwiegermutter kommen.
“Das ist doch kein Outfit für einen Jungen, du kannst dem Kind doch keinen rosafarbenen Strampler anziehen.”
Dies ist noch die harmlosere Form des “Ausbrechens”. Wenn ein Junge mit langen Haaren laufen möchte oder lieber einen Rock trägt als eine Hose, werden die Diskussionen und das Getuschel im Dorf lauter. Dabei sollte das Wohl des Kindes, unabhängig von Geschlecht oder Herkunft, im Vordergrund stehen.
Wie reagiert die Gesellschaft auf geschlechtsneutrale Erziehung?
Die Ungleichbehandlung der Geschlechter wird seit Jahren diskutiert, jedoch nicht immer mit Zustimmung. Insbesondere geschlechtsneutrale Erziehungsmethoden, die bereits im Kindesalter beginnen, stoßen auf Kritik und Ablehnung. Politiker und die Öffentlichkeit befürchten, dass geschlechtsneutrale Erziehung die Entwicklung der Kinder schädigen könnte.
Tatsächlich zeigen Studien, dass Kinder und Jugendliche eher durch geschlechtsrollenspezifische Erziehung und damit verbundene Ungleichbehandlung beeinträchtigt werden. Forschungsergebnisse von Katharina Heisig, Doktorandin am ifo Institut in Dresden, zeigen, dass geschlechtsneutrale Erziehung die kindliche Entwicklung fördert. Es gibt keine empirischen Studien, die belegen, dass die Gleichbehandlung der Geschlechter negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern hat.
Woher kommt die gesellschaftliche Ablehnung gegenüber geschlechtsneutraler Erziehung?
Viele Maßnahmen, die darauf abzielen, Gleichstellung zu fördern, konzentrieren sich auf die Förderung von Frauen oder Mädchen, was zu Unmut führt. Andererseits besteht auch ein größerer Bedarf an solchen Maßnahmen, da die Ungleichbehandlung von Frauen und Mädchen immer noch das gesellschaftliche Bild prägt. Kritiker sind der Ansicht, dass solche Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Geschlechtern nicht prioritär sind und von wichtigeren politischen und wirtschaftlichen Themen ablenken.
Laut Heisig wird befürchtet, dass geschlechtsneutrale Erziehung Kinder und Jugendliche sogar schädigen könnte und zu Verwirrungen ihrer Geschlechtsidentität führen könnte. Dabei hat geschlechtsneutrale Erziehung nichts damit zu tun. Befürworter argumentieren hingegen mit positiven Ergebnissen. Maßnahmen der geschlechtsneutralen Erziehung und Gleichbehandlung in schwedischen Kindergärten umfassen geschlechtsneutrale Aktivitäten, Spiele, die von den Kindern selbst gestaltet werden, Kleidungsstücke ohne geschlechtsspezifische Zuordnung und eine geschlechtsneutrale Sprache.
Welchen Einfluss hat geschlechtsneutrale Erziehung auf das spätere Leben und die Berufswahl der Kinder?
In Deutschland lassen sich noch keine klaren Aussagen dazu treffen, da wir uns erst am Anfang der Entwicklung hin zu geschlechtsneutraler Erziehung befinden. Die nordischen Länder sind in Sachen Gleichberechtigung am weitesten fortgeschritten. Island belegt seit Jahren den ersten Platz im Gleichberechtigungsindex des Weltwirtschaftsforums. Dort erziehen einige Kindergärten und Schulen bereits geschlechtsneutral.
Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung arbeitet Margrét Pála Ólafsdóttir, Leiterin mehrerer isländischer Kindergärten und Grundschulen, an der Gleichstellung von Kindesbeinen an. Durch geschlechtsneutrale Erziehung kommt es zu weniger Missverständnissen und einem respektvolleren Umgang zwischen den Geschlechtern. Kinder werden nicht nach Geschlechtern getrennt in verschiedene Ecken gesetzt, sondern verbringen viel mehr Zeit in der Natur. Sie stellen Spielzeug selbst her, erfinden Spiele und organisieren die Spielabläufe demokratisch.
“Stereotype Denkweisen” werden aufgebrochen. Laut Ólafsdóttir wird Mädchen im normalen Schulsystem vermittelt, dass sie weniger wert sind. Durch das Durchbrechen stereotyper Denkweisen kommt es auch zu weniger sexueller Gewalt. Jungen wachsen nicht mit dem Bewusstsein auf, dass sie wertvoller oder mächtiger als Mädchen sind. Ein respektvoller Umgang miteinander, der bereits den Kleinsten beigebracht wird, wird auch im Erwachsenenleben Vorrang haben.
Sind Kinder freier und glücklicher ohne vordefinierte Geschlechterrollen?
Abschließend lässt sich sagen, dass Kinder, die ohne spezifische Geschlechterrollen aufwachsen, freier in ihrer Entwicklung sind. Sie können selbst entscheiden, was ihnen gefällt. Wenn ein Mädchen lieber Hosen trägt, soll es Hosen tragen. Wenn ein Junge lesen möchte und mit Puppen spielen möchte, soll er das tun können. Dafür benötigen sie Unterstützung von ihren Eltern und ein familiäres Umfeld, das diese geschlechtsneutrale Erziehung unterstützt. Wenn ein Kind die Unterstützung seiner Familie hat, kann es sich auch gegen äußere Einflüsse behaupten.
Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass ein strikter Fokus auf geschlechtsneutrale Erziehung zu einem Denken in Schubladen führt. Muss alles geschlechtsneutral sein? Ist es nicht besser, Kindern sowohl Puppen als auch Autos zu ermöglichen? Wenn Menschen einander mehr Raum und Freiheit geben würden, wäre die Welt bunter und Kinder könnten sich freier entwickeln. Statt strenger Schubladendenkweise sollten wir offen sein für andere Meinungen und Lebensweisen. Auch wenn Eltern die Interessen und Vorlieben ihrer Kinder vielleicht nicht immer verstehen können, sollten sie dennoch für sie da sein und sie unterstützen.
Wir haben noch einen langen Weg vor uns, bis wir eine annähernd geschlechtsneutrale Erziehung erreichen. Alles in unserer Umgebung folgt Geschlechterrollen, vom Kindergarten über die Schule bis hin zum Arbeitsplatz. Werbung und Medien unterstützen diese klare Rollenverteilung zusätzlich. Deshalb fällt es Eltern oft schwer, sich von den klassischen Geschlechterrollen zu lösen.
[Quellen](https://www.wissen.de/eltern-als-vorbilder-lebensweg-der-kinder-nachhaltig-praegen, http://www.bischof.com/doris_geschlechtsunterschiede.html, https://www.ifo.de/DocDL/ifoDD_19-02_12-16_Heisig.pdf, https://sz-magazin.sueddeutsche.de/die-loesung-fuer-alles/ich-will-keine-prinzessin-sein-85517, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0022096517302692?via%3Dihub)