Flucht und Migration waren in der Zeit zwischen dem späten 14. und späten 18. Jahrhundert in verschiedenen Kontexten präsent: sei es aufgrund von klimatischen oder Umweltkatastrophen, Kriegen oder Bürgerkriegen, Flucht vor Unfreiheit, wie Leibeigenschaft, Sklaverei oder Soldatenpressen, oder vor religiöser und konfessioneller Verfolgung. In diesem Beitrag wollen wir uns speziell mit der Flucht aufgrund von religiösen und konfessionellen Zugehörigkeiten im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa beschäftigen.
Religiöse Kontrolle und Verfolgung
In der Regel versuchten die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Staaten einen religiösen oder konfessionellen Einheitsstaat zu schaffen. Die “Staatsreligion” und ihre Institutionen waren eng mit dem weltlichen Herrscher verbunden. Andersgläubige wurden verfolgt, da man sie als Gefahr für Staat und Kirche, für Orthodoxie und gesellschaftlichen Frieden sah. Erst mit der Etablierung von Glaubens- und Religionsfreiheit im 18. Jahrhundert änderte sich dies. Doch spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Staaten hatten auch Interesse an Andersgläubigen, wenn sie wirtschaftlich, militärisch, geopolitisch oder demografisch von Nutzen schienen.
Flucht bis zum 18. Jahrhundert
Die Verfolgung und Ausweisung von Juden seit den Kreuzzügen ist eines der bekanntesten Beispiele für erzwungene Migrationen in Europa zwischen dem 6. und späten 18. Jahrhundert. Weniger bekannt ist die Ausweisung der Sepharden (Juden auf der iberischen Halbinsel) im Jahr 1492. Im Zuge der “Rückeroberung” Spaniens und Portugals durch christliche Fürsten wurden alle Juden aufgefordert, das Land zu verlassen, sofern sie nicht zum Christentum konvertierten. Etwa 150.000 bis 165.000 Sepharden verließen daraufhin Spanien und siedelten sich in Portugal, Nordafrika und dem östlichen Mittelmeerraum an.
Auch andere Glaubensgemeinschaften wurden im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit verfolgt, mussten fliehen oder wurden zwangsdeportiert. Dazu gehörten christliche “Ketzer” wie die Albigenser oder die Anhänger von John Wycliffe und Jan Hus. Mit der Reformation nahm die Verfolgung und Flucht Andersgläubiger in Europa zu. Tausende von Menschen wurden vertrieben oder flohen vor Verfolgung, darunter Täufer, Hutterer, Mennoniten, Wallonen, Hugenotten und viele weitere.
Motive für Aufnahme
Warum nahmen europäische Städte, Provinzen und Staaten Flüchtlinge auf, selbst wenn diese keine “Rechtgläubigen” waren? Einerseits spielte christliche Barmherzigkeit eine Rolle, andererseits waren häufig auch utilitaristische Motive ausschlaggebend. Die Aufnahme von Flüchtlingen wurde oft mit wirtschaftlichen, geopolitischen, demografischen, militärischen und konfessionell-religiösen Interessen begründet.
Die Aufnahme von Sepharden beispielsweise hatte für die jungen Vereinigten Niederlande wirtschaftliche Vorteile, da sie Zugang zu deren Handelsnetzwerken erhielten. Auch von Hugenotten erhofften sich europäische Fürsten Innovationen im Bereich Textil und Luxuswaren. Die Gewährung von Asyl und Aufnahmeprivilegien war auch eng mit der Ausdehnung der europäischen Kolonien verbunden. So versuchte England, europäische Nonkonformisten in den nordamerikanischen Kolonien anzusiedeln, um die frontier zu sichern.
Die Realität der Flüchtlinge
Flüchtlinge erhielten in der Frühen Neuzeit Privilegien und Rechte, die oft sehr heterogen waren. Sie wurden oft als separate Glaubensgemeinschaften angesiedelt und hatten eigene Verwaltung, Bildungssysteme und Sozialstrukturen. Diese ethnisch-religiösen Enklaven boten den Flüchtlingen Schutz und die Möglichkeit, ihre Identität und ihren Glauben zu bewahren. Gleichzeitig waren sie aber auch dazu verpflichtet, für ihre Mitglieder zu sorgen und gegenüber den Aufnahmestaaten Verantwortung zu übernehmen. Die Situation der Flüchtlinge war jedoch oft unsicher und ihre Privilegien konnten zurückgenommen werden.
Fazit
Die Flucht und Aufnahme von Flüchtlingen in der Frühen Neuzeit war geprägt von utilitaristischen Interessen der Aufnahmeländer. Die Flüchtlinge selbst spielten als gate-keeper eine wichtige Rolle bei der Verhandlung von Asyl und Privilegien. Obwohl die ethnisch-religiösen Enklaven den Flüchtlingen Schutz boten, gab es doch Unterschiede im rechtlichen Status und der Gleichstellung mit den “autochthonen” Untertanen. Heutzutage basiert die Aufnahme von Flüchtlingen auf anderen Grundlagen wie Rechtsgleichheit und individuellen Freiheitsrechten.