Saitenwechsel: Die erste Geige im Orchester

Saitenwechsel: Die erste Geige im Orchester

Gitarre, Schlagzeug, Bass und Gesang – zusammen ergeben sie mehr als nur die Summe ihrer Teile. Und genau das gilt auch für die Klassik. Eine Geige allein klingt schön und gut, aber erst im Zusammenspiel mit einem ganzen Orchester entsteht etwas Magisches, das sich kaum in Worte fassen lässt.

Aber wie funktioniert das Zusammenspiel im Orchester eigentlich? Die erste Geige spielt dabei eine entscheidende Rolle. Sie führt nicht nur die wichtigsten Melodien an, sondern ist auch ein Vorbild für die anderen Musiker. In einem Sinfonieorchester können bis zu 16 erste Geigen zum Einsatz kommen. Doch was treibt Musiker an, die eine solch tragende Rolle im Orchester haben? Um das herauszufinden, habe ich mich mit einer erfahrenen Geigerin getroffen.

Ein Leuchtturm im Orchester

Der Konzertmeister ist der Chef der ersten Geigen. Er sitzt direkt neben dem Dirigenten und trägt eine große Verantwortung. Er gibt die Anweisungen, wie etwas gespielt werden soll, natürlich in Absprache mit dem Dirigenten. Er ist sozusagen der Vermittler zwischen dem Dirigenten und dem Orchester. Viele Orchestermitglieder schauen nicht nur auf den Dirigenten, sondern auch auf den Konzertmeister, wenn es um den Einsatz geht.

Im 18. Jahrhundert wurde das Orchester ausschließlich vom Konzertmeister geleitet. Es gab noch keine Dirigenten, wie mir der Musikwissenschaftler Wolfgang Schreiber berichtet:

“In der Barockmusik wurde eine Kapelle vom Cembalo oder von der Geige aus geleitet. Bach hat noch mit der Geige in der Hand dirigiert.”

“Concertare” – streiten sich die Geigen?

Die Geigen spielen im Orchester eine so wichtige Rolle, dass es zwei Gruppen gibt: die ersten und die zweiten Geigen. Doch worin besteht der Unterschied zwischen ihnen? Es beginnt bereits mit der Sitzordnung, erklärt Eleonore Büning, Musikchefin der FAZ:

“Die ersten und zweiten Geigen haben unterschiedliche Stimmen und spielen daher unterschiedliche Partien. Auch bei den zweiten Geigen gibt es Konzertmeister.”

Es geht also nicht darum, dass die ersten Geigen besser spielen als die zweiten. Sie spielen einfach eine andere Stimme. Ob die ersten oder zweiten Geigen den wichtigeren Part spielen, hängt vom Stück ab. Die Qualität der Spieler ist in beiden Gruppen gleich hoch.

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Keine Qualitätsunterschiede zwischen erster und zweiter Geige

Aber spielen die ersten Geigen nicht immer die schwierigeren und wichtigeren Passagen? Karl Suske, ein bekannter Geiger, klärt auf:

“Das hängt vom Stück ab. Es kann auch sein, dass die zweiten Geigen mal wichtiger sind. Aber was die ersten Geigen zu spielen haben, ist meistens schwieriger. Die Qualität der Spieler ist in beiden Gruppen die gleiche.”

Ob man in einem Orchester erste oder zweite Geige spielt, hängt davon ab, ob eine Position frei ist. Beim Probevorspiel muss man sich beweisen und den Posten bekommen. Dann gehört man zur größten Gruppe im Orchester. Man kann sich auch mal verstecken, wenn man einmal den Faden verliert, wie Suske erläutert:

“Wenn man mal ein paar Töne nicht spielt, fällt das nicht auf, weil es andere tun. Das merkt nur der Kollege, der neben einem sitzt, und dem kann das auch passieren. Natürlich hängt es auch von der Größe der Gruppe ab. Es gibt Orchester, die nur sechs erste Geigen haben. Da fällt so etwas etwas mehr auf.”

Parallelen zum Zwischenmenschlichen

Ob es um Gruppendynamik, Hierarchien oder Instrumente geht, die mehr oder weniger tonangebend sind – all das bietet viele Parallelen zum Zwischenmenschlichen. Der Film “Saiten des Lebens” beispielsweise zeigt die musikalischen Beziehungen eines Quartetts als Soziogramm der verschiedenen Charaktere. In einer Szene des Films wird deutlich, dass die erste und zweite Geige nicht hierarchisch, sondern in verschiedenen Rollen spielen:

“Und was spielst du bei dieser Aufnahme? – Die zweite Geige, wie immer. Das ist mein Part. – Immer? – Ja, ohne mich wären sie ein einsames, frustriertes Trio. Doch die erste und zweite Geige haben nichts mit Hierarchie zu tun. Sie spielen nur verschiedene Rollen. – Inwiefern? – Naja, manchmal spiele ich die Melodie und manchmal die untere Stimme. Ich verbinde die erste Geige, die ja meistens die Solo-Passagen spielt, mit der Bratsche und dem Cello. Ich verbinde alles miteinander. Das ist mein Job. – Klingt ziemlich wichtig, nur hast du denn nicht das Bedürfnis ab und zu auch mal die erste Geige zu spielen? – Ja, natürlich!”

Auch mal den Ton angeben und im Mittelpunkt stehen – das hat seinen Reiz. Kein Wunder, dass die erste Geige so beliebt ist. Doch schon der Komponist Robert Schumann wusste im 19. Jahrhundert:

“Wenn alle die erste Geige spielen wollen, kommt kein Orchester zusammen.”

Die ersten Geigen können also erst dann richtig glänzen, wenn auch die anderen Instrumente mitspielen. Dann entsteht im Konzertsaal etwas Magisches, wie es die Hamburger Rock-Band Kante in ihren Worten ausdrückt:

“Wir haben Gitarren, das Klavier und den Bass. Wir haben das Schlagzeug, den Gesang und all das ist in guten Momenten für eine Weile mehr als die Summe der einzelnen Teile.”

Bild: Video 1 geige 2 geige unterschied

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