So realistisch ist der Microsoft Flight Simulator im Vergleich zur Realität

So realistisch ist der Microsoft Flight Simulator im Vergleich zur Realität

Peinlich, ich finde es nicht. Angestrengt sehe ich aus dem Fenster. Die Karte in der linken Hand, den Steuerknüppel in der rechten. Zehn Minuten bei 130 km/h IAS auf Steuerkurs 60 Grad, mehr oder weniger. Lüneburg liegt längst hinter mir, ich sehe die weit geschwungenen Windungen der Elbe. Gleich sollte ich da sein und fühle mich dennoch wie blind. Es ist heiß an diesem Julitag. Fast 30 Grad Celsius bereits am frühen Mittag. In knapp eintausend Metern Höhe ist es unter dem Glasdach des Rotax Falken Motorseglers kaum kühler.

Die Karte durchweicht in der schwitzigen Hand, während meine Augen im graublauen Dunst nach Ortsmarken herumstochern. Die Fliegerkarte zeigt die Elbe, größere Straßen, Windräder und den Flugplatz, den ich finden soll: Neu-Gülze. Der Name sagt es schon, Flugplatz ist übertrieben, Neu-Gülze ist eine winzige Graspiste mitten im weiten Flickenteppich norddeutscher Getreidefelder. Von hier oben ist es im Hochsommer sowieso alles braungrau. Die Sonne steht im Zenit, schattenlos verliert die Landschaft ihre Konturen.

Flugsimulatoren im Vergleich

Die Flugsimulation X-Plane 11 auf meinem sechs Jahre alten PC simuliert zwar Flugzeuge sehr ordentlich, doch zur Navigation im Sichtflug taugt sie nur bedingt. Straßen, Brücken, Windräder und Flussläufe werden zwar mittels Geodaten genau platziert, doch dann endet die Annäherung an die Realität auch schon. So scheint das für seinen dichten Baumbestand bekannte Hamburg in X-Plane der schlimmsten Klimawandel-Dystrophie entsprungen. Graubraune Flächen gesprenkelt mit automatisch generierten Häusern, die wenig nach Europa, dafür mehr nach US-Vorstädten aussehen.

Zwar lässt sich X-Plane mit einer Vielzahl von Freeware-Tools wie OrthoXP und Grafik-Addons optisch deutlich aufpeppen, doch dafür braucht es neben fliegerischen- vor allem IT-Ehrgeiz und viel Zeit für die Einarbeitung. Stundenlanges Suchen in Foren und Sichten von Tutorials auf YouTube sind Pflicht. Und jedes zusätzliche Addon geht zu Lasten der Framerate, also der Bildwiederholrate. Alles unter 30 FPS nimmt das Auge als “ruckelig” wahr.

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Gleichermaßen aufwändig ist das wenig bekannte Prepar3D des US-Luftfahrtkonzerns Lockheed-Martin. Bemüht sich X-Plane schon um Genauigkeit in Flugphysik und Avionik, legt “P3D” noch eine Schippe ´drauf. Nicht umsonst sind beide Programme auch für das Simulatortraining in der echten Flugausbildung zugelassen. In bestimmten Flugzeugmustern funktioniert jeder Schalter und sämtliche Einstellungen der Bordcomputer. Grafisch sind beide Simulatoren allerdings in die Jahre gekommen. Vor allem im Vergleich zum neuen Platzhirschen, dem Flight Simulator 2020 von Microsoft.

Der fotorealistische Flight Simulator 2020

Der Windows-Hersteller geht mit seinem neuen Flugsimulator einen zugänglicheren Weg: Weniger Gefummel dafür Schachtel auf oder besser Download starten und gute 100 Gigabyte später liegt einem der komplett simulierte Planet fotorealistisch zu Füßen. Ganz gleich wohin der Flug führt, die Software lädt die Satellitenbilder von Microsofts Bing Maps nach und legt sie wie eine Fototapete auf das Oberflächengitter der simulierten Welt. Zahlreiche Länder wurden mittlerweile von Hand verfeinert und mit 3D-Modellen versehen. Neben den USA, Australien und Kanada auch Deutschland.

Realismus dank virtueller Realität

Fotorealismus. Eigentlich genau das richtige für VFR-Piloten, also die bodennahen Schönwetterflieger, die sich vor dem Flug mit einem noch unbekannten Terrain vertraut machen wollen. Doch funktioniert das wirklich? Und welche Hardware ist dafür nötig?

Traditionell haben Flugsimulatoren großen Hardwarehunger, das war schon 1982 so als der erste Flight Simulator auf den Markt kam und die Grafik eher im Kopf als auf dem zweifarbigen Monitor entstand. Der jüngste Nachfahre ist da keine Ausnahme, insbesondere nicht, wenn die simulierte, fotorealistische Welt in 4K-Auflösung mit höchsten Details flüssig dargestellt werden soll.

Für den Sichtflugtest im Flight Simulator hat uns der Münchener Gaming-PC-Spezialist Mifcom ein Testsystem zur Verfügung gestellt, das genau das kann. Im gläsernen Gehäuse arbeiten die 16 Kerne des wassergekühlten Intel i9 12900KS auf einem Asus Maximus Hero mit einer Geforce RTX 3080ti zusammen. Der Flight Simulator ist auf einer schnellen SSD installiert und bekommt im 64 Gigabyte großen Arbeitsspeicher sicher keine Platzangst. Nach der Installation schlägt der Flight Simulator als Grafikeinstellung aus freien Stücken sogleich “Ultra” vor. Ich schiebe im Menü die Regler für “Terrain Detailgrad” und “Leveldetail Objekte” von der Mittelposition auf 100 Prozent.

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Das Ergebnis: Ein atemberaubend realistisches Erlebnis

Und wieder sitze ich im Flugzeug, in der linken Hand meine ICAO-Karte, in der rechten den Knüppel meines Thrustmaster Warthog, die Füße stehen in den Seitenruderpedalen – unter dem Schreibtisch. Um meinen Flug zu wiederholen, will ich von Hamburg-Boberg starten, einem Segelflugplatz im Osten der Hansestadt. Eine Millionenstadt mit Segelflugplatz, das ist außergewöhnlich. Gleich in Sichtweite der Flughafen Hamburg. Die Segelflieger hier müssen sich schon in der Ausbildung mit Luftraumstrukturen und Höhenfreigaben beschäftigen.

Während X-Plane die 1200 Meter lange Piste in Boberg nicht kennt, ist sie im Microsoft Flight Simulator schon eingebaut. Mit einem Klick stehe ich auf der Startbahn Richtung 12. Statt in einem Rotax Falken nur in einer Diamond Super Dimona, auch ein Motorsegler, nur moderner. Das Wetter lässt sich in der Software leicht nachbauen. Monat, Tag, Uhrzeit, wolkenloser Himmel, 27 Grad Celsius, kaum Wind und sehr viel Dunst. Selbst bei klarem Himmel kann die Fernsicht erstaunlich schlecht sein. Unverändert bleibt indes die Landschaft. Da sie auf Satellitenbildern beruht ist hier immer Frühsommer.

Eine verbesserte Simulationserfahrung dank Nvidias DLSS

Der Blick auf die Systemauslastung zeigt mir den Preis für die Detailtreue. Lief X-Plane auf meiner alten Intel i7 6700 4-Kern-CPU und der Nvidia Geforce 1070 selbst in 4K passabel, ackern im Flight Simulator auf höchster Detailstufe alle 16 Prozessorkerne kräftig, noch eifriger rechnet die RTX 3080ti. Ihr 12 Gigabyte Videospeicher ist zu 90 Prozent belegt, aus dem Arbeitsspeicher nimmt sich der Flight Simulator rund sieben Gigabyte.

Lohn der Hardware-Rechenmühe ist ein ruckelfreier Flug. Obwohl das so nicht stimmt, für das seidenweiche Dahinfliegen ist auch eine spezielle Softwaretechnik von Nividia verantwortlich. DLSS, Deep Learning Super Sampling. Dabei wird das Bild in einer niedrigeren Auflösung als der Monitor hergibt gerendert und dann wieder auf die native Monitorauflösung hochskaliert. Das Rendern, also berechnen eines Bildes, in einer geringeren Auflösung geht deutlich schneller, als das Rendern in hohen Auflösungen. Anschließend muss das Bild jedoch zu voller Grafikpracht hochgerechnet werden. Bei einem Standbild wäre das leicht, bei einer Spielegrafik, die sich von Bild zu Bild verändert, ist das schwieriger.

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Hier kommt das “Learning” ins Spiel. Die KI hinter DLSS nimmt nicht nur ein Bild und skaliert es stumpf hoch, sondern sie schaut auf die Informationen der Bilder zuvor und schätzt, welche Bilder wohl unmittelbar danach kommen könnten. Das System lernt im Grunde, die Bewegungen von Objekten vorherzusagen.

DLSS ist keine Bildverbesserung, sondern es erhöht die Zahl der angezeigten Bilder pro Sekunde, ohne signifikante Verschlechterung der Bildqualität. Obwohl besser wird die Grafik schon, da sich nun auch auf schwächeren PCs mehr Grafikoptionen im Spiel aktivieren lassen, ohne dass die FPS in den Keller rutschen und es zu ruckeln beginnt. Allerdings geht das nur mit Nvidia-Grafikkarten der RTX-Reihe und wenn das Spiel DLSS unterstützt, was beim Flight Simulator seit kurzem der Fall ist. Im Test klappt das hervorragend und bringt im Schnitt zusätzliche 15 FPS mehr.

Fazit

Der Microsoft Flight Simulator 2020 setzt neue Maßstäbe in Sachen Realismus und grafischer Darstellung. Dank der fotorealistischen Satellitenbilder und 3D-Modelle wird das Fliegen zu einem atemberaubenden Erlebnis. Die Hardware-Anforderungen sind jedoch hoch, vor allem um die hohe Detailtreue flüssig darstellen zu können. Die Verwendung von Nvidias DLSS-Technologie sorgt für eine verbesserte Simulationserfahrung und ermöglicht höhere Grafikeinstellungen ohne Einbußen bei der Bildwiederholrate. Der Flight Simulator 2020 ist definitiv ein Meilenstein in der Welt der Flugsimulationen.