Ständige Sorgen: Warum haben wir dauernd Angst (und werden sie nicht los)?

Ständige Sorgen: Warum haben wir dauernd Angst (und werden sie nicht los)?

Ständig begleitet uns die Angst. Sie lässt uns nicht los, sondern klammert sich hartnäckig in unseren Köpfen fest. Sie bombardiert uns permanent mit verschiedenen schlimmen Szenarien, die eintreten könnten. Ihr beliebtestes Folterinstrument ist die Frage: “Was, wenn…?” Was, wenn ich meinen Job verliere? Was, wenn ich Krebs habe und es nicht weiß? Was, wenn mich niemand mag? Besorgniserregend ist, dass nur etwa 3 Prozent unserer rund 60.000 Gedanken pro Tag positiv sind, wie wissenschaftliche Studien belegen. Die ohrenbetäubende Angst beherrscht also einen Großteil unserer Zeit. Diese Angst ist allen bekannt, denn sie ist charakteristisch für unsere moderne Gesellschaft, schreibt Dr. Roland Paulsen, Soziologe und Autor des Buches “Die große Angst” (Mosaik Verlag).

Depressionen und Angststörungen nehmen rapide zu

Diese Tatsache wird auch durch Zahlen belegt: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Depressionen weltweit die häufigste gesundheitliche Beeinträchtigung. Die Anzahl depressiver Menschen ist in den letzten zehn Jahren um fast 20 Prozent gestiegen. Mittlerweile sind Angststörungen sogar noch weiter verbreitet als Depressionen. Sie zeigen sich in unterschiedlichsten Formen wie sozialer Angst, Panikstörungen oder Hypochondrie. Angst ist längst kein individuelles Problem mehr, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.

Wir können uns nicht mit Unsicherheiten abfinden

Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass es uns heutzutage schwerfällt, mit Unsicherheiten umzugehen. In einer modernen, zukunftsorientierten Welt voller Überfluss und Wahlmöglichkeiten müssen wir in der Lage sein, Dinge zu kalkulieren, Risiken abzuschätzen und Situationen vorherzusagen, um dem Wahnsinn standhalten zu können. Ein aktuelles Beispiel ist die Corona-Pandemie, in der Wissenschaftler immer wieder neue Kurvenverläufe berechneten und Politiker neue Maßnahmen abschätzten – alles schien ungewiss und unvorhersehbar. Aber auch auf persönlicher Ebene setzen wir uns immer wieder mit verschiedenen Zukunftsszenarien auseinander, von Job-Problemen bis hin zu Gedanken über mögliche Krankheiten. Wir leben gedanklich in der Zukunft, und unser Werkzeug, um uns in der Flut von Milliarden Möglichkeiten zurechtzufinden, ist die “Was, wenn…?”-Frage.

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Das Problem: Diese zwanghaften Gedanken können schnell krankhaft werden und sich als Angststörung, wie beispielsweise Hypochondrie oder soziale Phobie, manifestieren. Kein Wunder, dass die Zahl der Menschen, die an einer Angststörung leiden, heute so hoch ist wie noch nie. Schätzungsweise ist ein Drittel aller Europäer*innen einmal in ihrem Leben betroffen. Weltweit betrachtet sind Angststörungen die häufigste Form psychischer Erkrankungen.

Wir können bestimmte Gedanken nicht unterdrücken

Besonders ernüchternd ist, dass wir Menschen nicht einmal in der Lage sind, unerwünschte Gedanken vollständig zu verdrängen. Im Gegenteil, der Versuch, diese Gedanken loszuwerden, führt oft dazu, dass sie sich noch verstärken. Das wurde bereits mehrfach psychologisch mit dem bekannten “Eisbären-Experiment” nachgewiesen, auf das auch Paulsen hinweist: Wenn man einem Menschen sagt, er soll nicht an einen Eisbären denken, denkt er zwangsläufig daran. Genauso ist es mit unseren Sorgen.

Auswege aus der Angstspirale: Gibt es sie?

Das alles klingt ziemlich bedrückend und aussichtslos. Insgesamt scheinen wir Gefangene unserer eigenen Gedanken und Ängste zu sein. Aber gibt es denn gar keine Möglichkeit, auszubrechen? Doch, meint Paulsen. Wir können uns ablenken – mit Sport, Meditation, Lesen, Kunst oder sogar mit Alkohol, Drogen oder Fernsehen. Die Forschung arbeitet ständig an Lösungen für Angsterkrankungen. Zum Beispiel haben Wissenschaftler gerade herausgefunden, dass “Magic Mushrooms” bei Depressionen helfen könnten. Dennoch können wir mit Ablenkung nicht das grundlegende Problem bekämpfen, nämlich dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir uns mit einer Zukunft voller Gefahren und Wahlmöglichkeiten auseinandersetzen müssen.

Byron Katies Methode “The Work” gegen Ängste und Sorgen

Es steht jedoch fest, dass wir die Gesellschaft nicht von heute auf morgen ändern können. Deshalb müssen wir unsere eigenen Bewältigungsstrategien finden, um unsere Ängste so gut unter Kontrolle zu halten, dass sie unseren Alltag nicht mehr bestimmen. Eine Methode, auf die die US-amerikanische Bestsellerautorin Byron Katie schwört, heißt “The Work”. Dabei geht es darum, unsere negativen Gedanken und Überzeugungen zu hinterfragen und abzulegen. Diese Methode basiert auf der Annahme, dass nicht alle Gedanken und Ängste in unserem Kopf der Realität entsprechen und dass wir ihnen nicht immer Glauben schenken sollten. Wenn uns also ein bestimmter Gedanke belastet, sollen wir uns vier Fragen stellen:

  1. Ist das wahr?
  2. Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?
  3. Wie reagierst du (was passiert in dir), wenn du diesen Gedanken glaubst?
  4. Wer wärst du ohne den Gedanken?
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Ein Beispiel: Wenn wir den Gedanken haben, dass Max sich nicht bei uns meldet, weil er uns langweilig findet, sollten wir die erste Frage stellen: “Ist es wahr, dass Max uns langweilig findet?” Die zweite Frage lautet: “Kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, dass Max uns langweilig findet?” Und so weiter. Die Methode empfiehlt auch, den negativen Gedanken umzukehren und eine andere Perspektive einzunehmen. Die Umkehrung des Beispielsatzes könnte also lauten: “Max findet uns nicht langweilig” oder “Wir finden Max langweilig”. Ziel ist es, neue Sätze zu finden, die ebenfalls wahr sein können und uns ein besseres Gefühl geben.

EFT, MBSR und Gespräche mit anderen

Eine weitere bekannte Methode, die gegen Sorgen und Ängste helfen soll, ist die EFT (Emotional Freedom Technique). Dabei handelt es sich um eine Klopfpunkt-Akupressur, die Blockaden im Körper und Geist lösen soll, beispielsweise durch das Klopfen auf die Thymusdrüse. Auch MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) soll helfen, negative Gedankenketten zu unterbrechen. Wie du siehst, gibt es zahlreiche Methoden, Techniken und Bücher, die sich mit dem Problem der ständigen Sorgen auseinandersetzen. Allein die Vielzahl an Literatur zu diesem Thema zeigt, wie sehr Ängste unsere Gesellschaft und unser heutiges Leben bestimmen. Vielleicht hilft es manchmal schon zu wissen, dass ich nicht die einzige Person bin, die mit diesen inneren Konflikten und negativen Gedankenketten durch die Welt geht. Eigentlich geht es vermutlich jedem in meinem Umfeld ähnlich. Was können wir also noch tun? Darüber sprechen, mit anderen Menschen. Ob nun mit Therapeuten oder mit Freunden, Kollegen oder der Familie – denn irgendwie sitzen wir alle im selben Boot mit unseren Gedanken.

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Weitere Leseempfehlungen zum Thema Ängste und Sorgen:

  • Ich denk, ich denk zu viel, Nina Kunz (Kein & Aber, 20 €)
  • Sorge dich nicht, lebe! Dale Carnegie (Fischer Verlage, 13 €)
  • Das Angstbuch, Borwin Bandelow (Rowohlt, 12 €)
  • Panikattacken und andere Angststörungen loswerden, Klaus Bernhardt (Penguin, 18 €)
  • Byron Katies The Work, Moritz Boerner (Goldmann, 9 €)