Strafrecht AT ist ein anspruchsvolles Fach, bei dem jeder Aspekt wichtig ist. Ein besonders häufig geprüftes Thema von der Erstsemesterklausur bis zum Examen ist die actio libera in causa.
Die actio libera in causa (frei übersetzt “freie Handlung in der Ursache”) hat einen enormen Einfluss auf das gesamte Studium. Es ist unerlässlich, die folgenden Überlegungen im Schlaf abrufen zu können, da gute Argumentationstechnik allein hier nicht ausreicht.
I. Anwendbarkeit und Allgemeines
Es ist wichtig zu wissen, in welchen Fällen die Grundsätze der actio libera in causa überhaupt zur Anwendung kommen. Wenn dies übersehen wird, steht die Klausur auf der Kippe.
Die actio libera in causa betrifft Fälle, in denen der Täter zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war, gemäß § 20 StGB (Strafgesetzbuch). Oft wird im Sachverhalt lediglich erwähnt, dass der Täter zum Tatzeitpunkt einen Blutalkoholgehalt von beispielsweise 3,0‰ hatte. In solchen Fällen muss in der Klausur kurz festgestellt werden, dass bei dieser Blutalkoholkonzentration von einer absoluten Schuldunfähigkeit auszugehen ist. Bei Kapitalverbrechen liegt die Grenze wahrscheinlich bei 3,3‰.
Es ist zu beachten, dass der Sachverhalt normalerweise eindeutige Hinweise auf die Schuldunfähigkeit gibt. Nur bei außergewöhnlichen Sachverhaltsangaben, wie beispielsweise der Alkoholgewöhnung des Täters, sollte die Schuldunfähigkeit genauer betrachtet werden.
Ein typischer Anwendungsfall der actio libera in causa könnte wie folgt aussehen:
“X plant, Y zu töten. Bevor X die Tat ausführt, trinkt er große Mengen Alkohol, um Mut zu schöpfen. Dadurch ist er zum Zeitpunkt des Messerstechens gegen Y schuldunfähig. Y stirbt infolge des Angriffs.”
Wie könnte man den Fall ohne die Grundsätze der actio libera in causa lösen? Man könnte mit § 212 Abs. 1 StGB (Totschlag) beginnen, müsste jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass X nicht wegen Totschlags strafbar ist, da er zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Es könnte § 323a StGB (Unterlassene Hilfeleistung) angewendet werden, aber der Strafrahmen von 5 Jahren ist in diesen Fällen oft unangemessen. Es wird als rechtsmissbräuchlich angesehen, die Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB an der Schuldunfähigkeit scheitern zu lassen, da der Zustand der Schuldunfähigkeit vorsätzlich herbeigeführt wurde. Daher kommt eine Anwendung der Grundsätze der actio libera in causa in Betracht. Der Prüfungsablauf in der Klausur sieht wie folgt aus:
II. Prüfungsablauf
1. Gutachten wie gewohnt beginnen
Die Prüfung sollte wie gewohnt beginnen, zum Beispiel in dem oben genannten Beispielsfall:
“X könnte sich nach § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem er mit einem Messer auf Y einstach.
(…)
X war zum Tatzeitpunkt jedoch schuldunfähig gemäß § 20 StGB aufgrund einer krankhaften seelischen Störung.”
Dann geht es wie folgt weiter:
“Das Verhalten könnte dem Täter jedoch nach den Grundsätzen der actio libera in causa zugerechnet werden.”
An dieser Stelle werden in der Klausur bereits zwei Theorien diskutiert:
a. Ausnahmetheorie
Nach der Ausnahmetheorie ist die Berufung auf § 20 StGB ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn der Täter den Zustand der Schuldunfähigkeit vorsätzlich herbeigeführt hat. Dies wäre eine Ausnahme von dem Koinzidenzprinzip, wonach alle Tatbestandsmerkmale während der Tatausführung gemeinsam vorliegen müssen.
b. Ausdehnungstheorie
Laut der Ausdehnungstheorie ist das Tatbestandsmerkmal “bei Begehung der Tat” in § 20 StGB auf den Zeitpunkt der Rauschherbeiführung auszudehnen.
Beide Theorien werden jedoch wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG (Grundgesetz) und den eindeutigen Wortlaut des § 20 StGB abgelehnt.
2. Neuer Prüfungsansatz
Anschließend sollte ein neuer Prüfungsansatz festgelegt werden, zum Beispiel:
“X könnte sich jedoch durch dieselbe Handlung nach § 212 Abs. 1 StGB in Verbindung mit den Grundsätzen der vorsätzlichen actio libera in causa strafbar gemacht haben.”
Einige lehnen jegliche Herleitung der actio libera in causa mit Hinweis auf Art. 103 Abs. 2 GG ab. In der Klausur sollte jedoch der herrschenden Vorverlegungstheorie gefolgt werden.
a. Vorverlegungstheorie (= Tatbestandsmodell)
Nach der Vorverlegungstheorie ist die Tathandlung bereits die Herbeiführung des Rauschzustands. Die Prüfung des subjektiven Tatbestands und der Schuld wird somit auf den Zeitpunkt der Herbeiführung der Schuldunfähigkeit vorverlagert. Vorverlagerungen sind im Strafrecht nicht ungewöhnlich und im Rahmen der Zurechenbarkeitsprüfung durchaus zulässig. Man könnte sagen, dass diese Theorie auf den Grundsätzen von Kausalität und objektiver Zurechnung basiert. Deshalb ist eine Herleitung dieser Theorie nur bei Erfolgsdelikten möglich, nicht jedoch bei Tätigkeitsdelikten wie § 315c StGB und § 316 StGB. Solche Tatbestände können nicht als Verursachung eines vom Handeln trennbaren Erfolges betrachtet werden.
b. Werkzeugtheorie
Die Werkzeugtheorie knüpft an § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB an und betrachtet den Täter als Werkzeug seiner selbst. Diese Ansicht ist jedoch bereits durch den Wortlaut von § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB (“anderer”) widerlegt.
c. Wenn Herleitung möglich ist (nicht bei § 315c StGB und § 316 StGB):
Es muss geprüft werden, ob die vorverlagerte Handlung (die Herbeiführung des Rausches) ein Risiko geschaffen hat, das den Erfolg kausal und zurechenbar herbeigeführt hat. Es ist fraglich, ob der Täter zum Zeitpunkt der Rauschherbeiführung Vorsatz hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale und des Rausches hatte.
d. Fahrlässigkeit
Wenn zum Zeitpunkt der Rauschherbeiführung kein Vorsatz zur Tatbestandsverwirklichung vorlag oder der Erfolg fahrlässig herbeigeführt wurde (z. B. durch einen Schuss), scheitert eine Strafbarkeit nach § 20 StGB. In diesen Fällen muss ein neuer Prüfungsansatz durchgeführt werden, beispielsweise nach § 222 StGB. Die zu untersuchende Handlung ist dann die Herbeiführung des Rausches als sorgfaltswidrige Ursache des späteren Erfolges. Dies ist bereits fahrlässig, sodass die Konstruktion der actio libera in causa nicht erforderlich ist.
3. § 323a Abs. 1 StGB
Nach der Prüfung der actio libera in causa muss immer noch § 323a Abs. 1 StGB geprüft werden.
Eine Strafbarkeit nach § 323a Abs. 1 StGB kommt jedoch nur für Delikte in Betracht, bei denen die Strafbarkeit nach anderen Tatbeständen aufgrund von Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB und den Grundsätzen der actio libera in causa nicht möglich war. Es müssen insbesondere § 315c StGB und § 316 StGB geprüft werden. Wenn jedoch bereits eine Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB in Verbindung mit den Grundsätzen der actio libera in causa angenommen wurde, wird keine zusätzliche Bestrafung nach § 323a StGB für das Messerstechen erfolgen. Es bleibt offen, ob § 323a StGB tatbestandlich nicht erfüllt ist oder aus Konkurrenzgründen zurücktritt.
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