Die Zahl der im Ukraine-Krieg gestorbenen russischen Soldaten liegt offenbar weit über den bekannten Informationen. Laut einer gemeinsamen Recherche der unabhängigen russischen Medien Meduza und Mediazona sind bereits mindestens 50.000 russische Soldaten gestorben.
Offizielle Angaben zu den Opfern in der russischen Armee gibt es nicht, da der staatliche Statistikdienst Rosstat in Russland eingestellt wurde und seit September 2022 keine offiziellen Angaben über Todesopfer in der Armee mehr bekannt sind. Um mehr Klarheit zu schaffen, haben Meduza und Mediazona Informationen aus dem Register für Erbschaftsfälle untersucht, in dem die Erbschaftsanträge russischer Bürger gesammelt werden. Die Zahl dieser Anträge wurde mit den Sterbezahlen der Vorjahre verglichen, um die sogenannte Übersterblichkeit zu berechnen.
Die Todeszahlen wurden anschließend durch eine statistische Analyse des unabhängigen Soziologen Dmitriy Kobak überprüft, der an der Universität Tübingen in Wahlstatistiken und Übersterblichkeit forscht. Beide Teile der Recherche wurden unabhängig voneinander durchgeführt.
Laut den Informationen aus dem Register für Erbschaftsfälle wurden Ende 2022 insgesamt etwa 25.000 mehr männliche Todesfälle in den Altersgruppen zwischen 15 und 49 verzeichnet, als ohne Krieg zu erwarten gewesen wären. Bis zum 27. Mai dieses Jahres liegen Daten vor, und bis dahin beträgt die Gesamtzahl der Todesfälle mindestens 47.000.
Es ist unmöglich, eine grobe Schätzung der Zahl der vermissten Personen im Krieg in Russland abzugeben, da in der Russischen Föderation kein öffentliches Register der Vermissten eingerichtet wurde. Viele verstorbene russische Militärangehörige, deren Leichen nicht gefunden oder der Russischen Föderation übergeben wurden, sind bis vor kurzem fast nie in die zivile Sterblichkeitsstatistik aufgenommen worden.
Insgesamt dürfte die Zahl der Kriegsopfer in Russland noch deutlich höher sein als die jetzt errechneten 47.000. Laut den beiden Medien kann man vorsichtig davon ausgehen, dass bis Ende Mai 2023 insgesamt etwa 150.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Diese Zahl umfasst getötete oder an Verwundungen verstorbene Soldaten sowie solche, die aufgrund von schweren Verwundungen aus der Armee entlassen wurden. Vermisste und gefangene Russen sowie ukrainische Bürger, die in den Einheiten der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk kämpfen, sind in dieser Zahl nicht enthalten.
Meduza und Mediazona sind unabhängige russische Medienunternehmen, die sich auf investigative Berichterstattung konzentrieren. Meduza ist eine zweisprachige Internetzeitung mit Sitz in Riga, Lettland und wurde im Oktober 2014 als Exilmedium gegründet. Mediazona ist ein russisches Medienunternehmen, das sich auf die anti-putinistische Opposition konzentriert und von Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa, den Mitbegründern der Protestgruppe und Band Pussy Riot, gegründet wurde.
