Deutschland verpflichtete sich mit der UN-Behindertenrechtskonvention, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Doch wie gut wird diese Verpflichtung eingehalten? Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen veröffentlichte am 12. September 2023 seine “Abschließenden Bemerkungen” zur Staatenprüfung Deutschlands. Dabei benannte er Bereiche, in denen Deutschland die UN-Konvention besser umsetzen muss. Besonders beim Abbau von Sondereinrichtungen in den Bereichen Wohnen, Bildung und Arbeit sieht der UN-Ausschuss politischen Handlungsbedarf.
Staatenprüfung zur UN-Behindertenrechtskonvention
Vom 29. bis 30. August 2023 fand die Staatenprüfung Deutschlands zur UN-Behindertenrechtskonvention im zweiten Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf statt. Eine Delegation der Bundesregierung musste darlegen, wie das Land die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzt. Deutschland hat sich unter anderem verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen und Schülerinnen mit Behinderungen gemeinsam mit den anderen Schülerinnen am Wohnort inklusiv zu unterrichten und zu fördern. Dies war bereits die zweite Prüfung seit 2018.
Die Bundesregierung legte 2019 einen Bericht vor, in dem Fragen des UN-Ausschusses beantwortet wurden. Zusätzlich gab es im Frühjahr 2023 ein aktualisiertes Maßnahmenpapier. Die Bundesregierung verweist darin vor allem auf länderübergreifende Empfehlungen der KKM zur Bildungsteilhabe, zur Beratung und zur Lehrkräftebildung in Bezug auf Inklusion. Laut Bundesregierung ist Deutschland auf dem richtigen Weg. In Bezug auf die konkrete Umsetzung in den Bundesländern fehlen jedoch detaillierte Angaben.
Kritik an der Umsetzung der Inklusion in Deutschland
Ein unabhängiger Parallelbericht des Instituts für Menschenrechte, das für das Monitoring der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland zuständig ist, fällt deutlich kritischer aus. Der Bericht betont unter anderem:
- Deutschland verfügt über ein ausdifferenziertes System von Förderschulen für Kinder mit Behinderungen. Eine Transformation hin zu einem inklusiven Schulsystem findet jedoch nicht statt. Aktuell wird im Bundesdurchschnitt noch immer mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischer Förderung an einer Förderschule unterrichtet. In einigen Bundesländern steigt der Anteil von Kindern in Förderschulen sogar.
- Förderschulen werden als vermeintlicher Teil eines inklusiven Systems behandelt und mit dem Elternwahlrecht auf diese Schulform gerechtfertigt. Außer in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg gibt es keinen Rechtsanspruch auf eine inklusive Beschulung und angemessene Vorkehrungen. Stattdessen wird auf Ressourcenvorbehalte, das Elternwahlrecht oder die Einrichtung von inklusiven Schwerpunktschulen verwiesen, die nur an einzelnen Standorten angeboten werden und eine Sonderstruktur im Regelschulsystem darstellen.
- Es ist unklar, in welchem Umfang Schulen in Deutschland barrierefrei sind, da keine ausreichenden Daten vorhanden sind.
- Die Mehrheit der Förderschülerinnen und Förderschüler (72,7%) verlässt die Schule ohne anerkannten Abschluss. Allgemeinbildende Lehrkräfte werden noch nicht verpflichtend inklusionspädagogisch aus- und fortgebildet.
Kritik wird öffentlich gemacht
Eltern aus acht Bundesländern verabredeten sich in Genf, um direkt vor dem UNO-Gebäude öffentlich zu machen, wie wenig Deutschland tut, um Kinder und Jugendliche mit Behinderung in die allgemeinen Schulen zu integrieren. Über den Verein mittendrin e.V. schickte ein Bündnis von Eltern eine eigene Stellungnahme an den UN-Fachausschuss, die in die Prüfung einbezogen werden soll. Diese Stellungnahme weist auf die ernüchternde Bilanz aktueller Studien hin.
Die Prüfung in Genf führte zu deutlicher Kritik des UN-Fachausschusses an der Umsetzung der inklusiven Bildung in Deutschland. Lesen Sie mehr über das Gespräch in Genf in unserem Interview mit Britta Schlegel und Susann Kroworsch vom Deutschen Institut für Menschenrechte.