Manchmal werden sie im Kleingedruckten versteckt, manchmal stehen die Kosten für Netzentgelte aber auch prominent auf der Stromrechnung: Bei Kunden der Flensburger Stadtwerke machen die Netzentgelte beispielsweise 30 Prozent der Netto-Haushaltsrechnung aus – das sind 8,5 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Bei Haushalten, die von den Gemeindewerken in Heikendorf bei Kiel angeschlossen sind, sind es sogar 32 Prozent, was bereits über 10 Cent pro Kilowattstunde ausmacht.
In Schleswig-Holstein sind die Netzkosten für Stromverbraucher deutschlandweit mit Abstand am höchsten: 9,63 Cent pro kWh. Das durchschnittliche Netzentgelt für Haushaltskunden in Deutschland ist 2020 um 3,8 Prozent gestiegen und liegt bei 7,5 Cent pro Kilowattstunde.
Leider ist die Ungerechtigkeit noch viel komplexer: Für die 44 unterschiedlichen Verteilernetze zwischen Sylt und dem Herzogtum Lauenburg sind ganz unterschiedliche Preise für die Netzentgelte festgelegt. Das teuerste liegt laut Daten der Bundesnetzagentur bei 11,38 Cent. Damit fehlt nicht mehr viel, und es wäre die Hälfte des Nettopreises pro Kilowattstunde.
Auch gibt es eine weitere Ungerechtigkeit: Wenn ein Kunde der Flensburger Stadtwerke nicht in Flensburg, sondern zum Beispiel in Berlin sitzt, ist sein Netzentgelt um rund drei Cent günstiger. Berlin und Bremen haben mit bundesweit 5,50 Cent pro Kilowattstunde die günstigsten Durchleitungsgebühren, dicht gefolgt von Nordrhein-Westfalen und den wirtschaftlich starken Bundesländern im Süden.
Drei Cent pro Kilowattstunde, das sind bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 3500 Kilowattstunden schon mehr als 100 Euro pro Privathaushalt – nur für die Netzkosten. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt.
Aber was sind überhaupt Netzentgelte? Diese Netznutzungsgebühr, die sozusagen die Pkw-Maut für Stromleitungen ist, muss nach Paragraf 20 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) veröffentlicht werden. Der örtliche Netzbetreiber legt damit im größten Einzelposten der Stromrechnung die Kosten für Leitungsbau, Netzsicherheit und Instandhaltung fest.
Warum sind die Netzentgelte so unterschiedlich hoch? Wenn in einer Region viele neue Leitungen gebaut werden müssen, wird das Netzentgelt teurer als in anderen Regionen. Genau das ist in Schleswig-Holstein der Fall, wo gerade große Anstrengungen unternommen werden, um den grünen Strom vor allem von der Westküste, aber auch aus anderen Regionen des Landes, nach Süden in die Metropolen und Wirtschaftszentren zu transportieren. Die Bundesnetzagentur weist darauf hin, dass im Netzentgelt die Kosten aller vorgelagerten Netzebenen enthalten sind.
Die neue 380-Kilovolt-Mittelachse zwischen Hamburg über die Geest nach Dänemark kann beispielsweise sieben Mal so viel grünen Strom transportieren wie ihre Vorgängerin von 1971. Und zwischen Brunsbüttel und Südtondern an der dänischen Grenze wächst die große neue Westküstenleitung.
In Schleswig-Holstein wird bereits heute mehr als das Dreifache des regionalen Verbrauchs an Windenergie produziert, wenn der Wind an der Nord- und Ostseeküste stark weht. Mit den neuen Leitungen soll nicht nur der Strom der Bürgerwindparks an der Westküste in die Wirtschaftszentren des Südens und Westens der Republik transportiert werden, sondern künftig auch viel Strom von neuen Offshore-Windparks. Bis 2030 sollen 30 Gigawatt Offshore-Energie an die Netze angeschlossen werden, aktuell sind es kaum mehr als 7 Gigawatt.
Die jährlich anfallenden Millionenbeträge für Strom, der bei Netzüberlastung nicht eingespeist werden kann, werden regional auf die Verbraucher umgelegt. Im Jahr 2020 beliefen sich diese Kosten auf 332 Millionen Euro, im ersten Halbjahr 2021 waren es weitere 150 Millionen Euro. So zahlen die Verbraucher in den engagiertesten Ausbauländern der erneuerbaren Energien die Rechnung – aber natürlich auch die Unternehmen in diesen Regionen. Neben Schleswig-Holstein sind auch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern überdurchschnittlich betroffen.
Dies ist in zweierlei Hinsicht kontraproduktiv, wie auch im Kieler Wirtschaftsministerium festgestellt wird: Zum einen belasten hohe Strompreise die Wirtschaft und private Haushalte grundsätzlich und stellen einen Hemmschuh für die Ansiedlung energieintensiver Unternehmen dar. Zum anderen fehlt es an Anreizen für private Verbraucher und Unternehmen, Strom dort einzusetzen, wo er zur Dekarbonisierung beitragen könnte, nämlich in Wärmepumpen, E-Autos und in der Wasserstoffherstellung für Industrie und Verkehrssektor.
Die Verbraucher und Unternehmen im Norden dürfen nicht benachteiligt werden, nur weil hier die Energiewende und der Netzausbau vorangetrieben werden. Dies schadet auch der Akzeptanz der Energiewende, wie auch im Wirtschaftsministerium befürchtet wird. Es bedarf einer Reform der Netzentgelte über alle Bundesländer hinweg, einschließlich der Senkung der auf Strom erhobenen Umlagen und Steuern wie der EEG-Umlage und der Stromsteuer.
Die energiewirtschaftlichen Experten von Agora Energiewende sind der Ansicht, dass die wachsenden Unterschiede in den Netzentgelthöhen und -strukturen nicht gerechtfertigt sind. Es sollte die Aufgabe des Gesetzgebers sein, die energiewendebedingten Netzausbaukosten auf alle Stromverbraucher in Deutschland gleichmäßig zu verteilen, da sonst ein erhebliches Akzeptanzproblem für die Energiewende in den betroffenen Gebieten entsteht. Bereits seit Jahren fordern die Energieexperten eine Reform der Netzentgelte.
Die derzeitige Netzentgeltsystematik bietet außerdem keine oder falsche Investitionsanreize für neue Erzeuger und Verbraucher. Diese wählen vermehrt Standorte mit niedrigen Netzentgelten aus, was dazu führt, dass dort die Infrastruktur ausgebaut werden muss und die Netzentgelte steigen.
Auch die engagierte Erneuerbare-Energien-Branche in Schleswig-Holstein kämpft seit Jahren gegen dieses überholte System. Für GPJoule, ein 400-Mitarbeiter-Unternehmen aus dem nordfriesischen Cecilienkoog, ist ein Knackpunkt die Entfernungsunabhängigkeit der Netzentgelte: “Langstrecke muss teurer sein als Kurzstrecke”, fordert GPJoule. Der Netzexperte des Unternehmens, Fabian Sösemann, geht sogar noch weiter: Er befürwortet eine Reduktion der Netzentgelte bei Entlastung der Netze. Wenn also der Stromverbrauch bei hoher Einspeisung von Windstrom erhöht wird, sollten niedrige Netzentgelte gezahlt werden. Ein solch flexibles Verhalten spart Kosten für den Netzausbau.
Die Netzentgelte sollten also dann am niedrigsten sein, wenn Verbraucher flexibel auf die Erzeugung von Wind- und Solaranlagen in ihrer Region reagieren. Umgekehrt führen die unverhältnismäßig niedrigen Strompreise im Süden natürlich zu einem noch größeren Transport von Energie von Nord- nach Süddeutschland. Dies belastet das Netz und verursacht hohe Kosten für das Engpassmanagement. In Deutschland kostet dies jedes Jahr glatt eine Milliarde Euro.
Lars Waldmann, Unternehmensberater im Energiewendebereich, geht sogar noch einen Schritt weiter: Er sieht die Windkraft im Norden als Solidarsystem. Ohne sie hätte Bayern oft keinen Strom. Was die Menschen ärgert, ist nicht so sehr die Höhe der Netzentgelte, sondern die Überzeugung, dass wir uns die Energiewende nicht leisten können. Dabei ist die Windenergie an Land die günstigste Form der Stromerzeugung überhaupt.
In Schleswig-Holstein betrug der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch im Jahr 2019 153,8 Prozent, im Vergleich zu 42 Prozent in ganz Deutschland. Bis 2025 sollen es zwischen Nord- und Ostsee bereits 230 bis 250 Prozent sein.
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