Was passiert, wenn die Tochter von Klaus Kinski öffentlich sagt, dass ihr prominenter Vater sie sexuell missbrauchte?
Bild von Klaus und Pola Kinski
Schwierigkeiten eines solchen Buches
Die mediale Rezeption der Autobiografie macht mehrere Schwierigkeiten offensichtlich, denen so ein Buch gegenübersteht.
Ein Buch ist per se für die Öffentlichkeit bestimmt. Eine gelungene Autobiografie erzählt ein berichtenswertes Leben – und sie macht dies handwerklich gut geschrieben. Pola Kinskis Autobiografie allerdings sieht sich nicht nur diesen Ansprüchen gegenüber, sondern auch einem doppelten Dilemma: Erstens war Klaus Kinski ein berühmter und erfolgreicher Schauspieler – und so ist die Autobiografie seiner Tochter interessant (für viele Leser wohl vor allem seinetwegen). Zweitens ist sexueller Missbrauch widerlich und seine Veröffentlichung sowohl eine gute Waffe dagegen als auch eine Möglichkeit, dem Opfer die Deutungshoheit über das eigene Leben und seine Würde zurückzugeben – andererseits aber lockt so eine Niederschrift eben auch Voyeure an.
Wie gehen Medien mit diesem Buch um?
Besonders interessant sind drei Beiträge: Ein zwölfseitiges Interview im Stern, ein Doppelartikel in der Bild-Zeitung mit Nastassja Kinski, einer der beiden Halbschwestern Polas, und ein Bericht in der Süddeutschen Zeitung.
Stern
Es gibt durchaus Medien, die einen Spagat zwischen Schaulust, Information und Respekt dem Opfer gegenüber schaffen. So etwa der Stern. Der Beitrag besteht aus sieben Seiten Fotos und fünf Seiten Text. Von den elf Fotos zeigen fünf Pola Kinski, drei Klaus Kinski und drei beide oder andere Personen. Das Interview ist aufschlussreich und interessant. Pola Kinski erzählt, wie sie von ihrem Vater sexualisiert und vergewaltigt wurde, welche unguten Folgen das für ihr Leben hatte und wie sie kämpfte. Mit 19 schaffte sie es, sich zu lösen. Sie wurde Schauspielerin und bekam schon früh wichtige Rollen bei guten Regisseuren. Im Stern erklärt Kinski, warum sie ihre Geschichte aufgeschrieben hat und warum sie dies ausgerechnet jetzt machte. Inzwischen ist sie 60 Jahre alt und tat es “nicht nur für [s]ich, sondern auch für andere, die Ähnliches erlebt haben”.
Bild
Die Bild hatte am 10. Januar mit folgender Schlagzeile aufgemacht: “Kinski-Tochter. Mein Vater hat mich jahrelang missbraucht!” Diese Überschrift ist erstens reißerisch – und zweitens steht der Täter-Vater im Vordergrund, nicht die Tochter. Die Bild thematisiert auch ein Buch von Klaus Kinski selbst, in dem er schon im Jahr 1975 “kein Geheimnis aus seiner sexuellen Vorliebe für minderjährige Mädchen” gemacht habe. Die Tatsache, dass ein kleines Mädchen seinen Vater liebt und braucht, macht ja gerade eine besondere Perfidie des Missbrauchs aus.
Süddeutsche Zeitung
Die Süddeutsche Zeitung überschreibt einen Text über Pola Kinskis Buch mit: “Missbrauchsvorwürfe gegen Klaus Kinski – Sturz eines Denkmals”. Über Pola Kinskis Buch schreibt der Autor: “Es erscheint bei Insel, dem Verlag, der einst auch die Gedichte Rainer Maria Rilkes veröffentlichte. Jetzt bekommt man solche Sätze zu lesen: ‘Süßes Püppchen, mein Engelchen’, haucht er. Dann bedeckt er meine Augen, meine Wangen und meinen Mund mit unzähligen feuchten Küssen. Verstohlen wische ich mir mit dem Mantelärmel übers Gesicht.” Der Autor vergleicht Pola Kinskis Text mit Pornografie und schreibt, die Autorin lasse “keine Kitsch-Vokabel aus”. Er schließt vernichtend: “Sie habe gegen die allgemeine ‘Kinski-Vergötterung’ geschrieben, hat die Autorin in einem Gespräch mit dem Stern gesagt. Ich konnte es auch nicht mehr hören: ‘Dein Vater! Toll! Genie!’. Am Ende hat sie den Kinski-Familienmythos nicht demontiert, sondern um eine weitere Facette bereichert.”
Letztlich stellt sich die Frage: Bis zu welchem Grad ist eigentlich ein Autor verantwortlich für die Rezeption seines Werkes? Auch “Lolita” von Nabokov wird immer wieder als Geschichte eines “Nymphchens” gelesen – dabei ist auch dieses als Literatur anerkannte Buch eine Geschichte von Missbrauch, Manipulation und Brutalität.