Es gibt ein Gebot in der Bibel, das sehr bekannt ist: “Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.” Dieses Gebot steht im 2. Buch Mose im Kapitel 20 und ist das vierte (oder je nach Zählung das fünfte) Gebot der Zehn Gebote. Es scheint perfekt zu passen in unsere heutige alternde Gesellschaft in Deutschland.
Das Gebot wurde über Jahrhunderte hinweg Kindern eingeprägt, die ihren Eltern den nötigen Respekt verweigerten. Deshalb klingt es immer noch ein wenig nach schwarzer Pädagogik, nach Zuckerbrot und Peitsche. Doch der ursprüngliche Sinn des Gebots geht viel weiter. Es geht um den Zusammenhalt der jüdischen – und heute auch christlichen – Gesellschaft.
Dieses Gebot ist nicht nur eine Forderung an Kinder, sondern auch an Erwachsene, sich um ihre alten Eltern zu kümmern. Es ist das einzige der zehn Gebote, bei dem Gott einen Lohn in Aussicht stellt. Ein langes Leben als Belohnung für die Versorgung der eigenen Eltern. Warum ist das so? Weil die erfreuliche Folge dieser Ehre und Fürsorge für die Alten ist, dass man selbst eines Tages in den Genuss dieser Zuwendung und Fürsorge kommt. Aber das funktioniert nur, wenn alle dieses Gebot beherzigen.
Der Begriff “Ehre” hat heute eine andere Bedeutung als vor 3000 Jahren. Damals ging es um die Anerkennung patriarchaler Strukturen und um den Respekt gegenüber dem Vater als familiären Gesetzgeber. Heutzutage steht die liebevolle Fürsorge für die Eltern im Zentrum.
In Deutschland hat der Begriff der Ehre eine negative Entwicklung durchgemacht. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und der Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre gibt es heute eine moderne Auslegung des vierten Gebots, die sich von solchen Vorstellungen distanziert.
Ehre ist ein religiöses Wort. In der Weihnachtsgeschichte singen die Engel “Ehre sei Gott in der Höhe.” Die Ehre Gottes ist der Dreh- und Angelpunkt des Glaubens, sie verändert die Menschen und ihr Zusammenleben. Ehre ist ein liebendes Band zwischen Menschen, die füreinander Sorge tragen und dabei die Nähe Gottes spüren.
Nach christlichem Verständnis hat jeder Mensch seine Ehre und Würde von Gott. Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes und verdient Respekt, unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung. Die Eltern zu ehren ist also immer auch ein kleines Glaubensbekenntnis.