Natürlich stellen sich Eltern in Brandenburg oder Bremen die Frage, warum die Schulen in ihren Ländern weniger leistungsfähig sind, denn ihre Kinder sind bestimmt nicht dümmer als die in anderen Teilen der Republik. Das hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan kürzlich in einem Interview mit der “Rheinischen Post” gesagt. Der Vergleich zeigte, dass Schüler im Süden und Südwesten besser abschneiden als solche im Norden. Das Bildungsgefälle von Süden nach Norden hat sich bestätigt.
Sind Kinder im Süden wirklich intelligenter?
Was wäre, wenn Schavan unrecht hätte? Was wäre, wenn die Kinder im Süden tatsächlich intelligenter wären, zumindest im Durchschnitt? Die Tatsache, dass sie in Leistungstests besser abschneiden, lässt diese Vermutung zumindest möglich erscheinen. Die Ministerin lobte die Bildungspolitik in den südlichen Bundesländern und erklärte, dass in Unterrichtsqualität und Lehrerbildung investiert wurde. Damit legte sie die Verantwortung für das schlechtere Abschneiden der nördlichen Länder in die Hände der überwiegend “roten” Bildungsminister. Sie müssten nur das Richtige tun und dann könnten Berlin, Brandenburg und Co. zu den südlichen Ländern aufschließen. Aber stimmt das wirklich?
Veränderbares Denken
Schavans Aussagen zeigen ein eher unkonservatives Denken. Ihren Worten zufolge sind die geistigen Fähigkeiten der Schüler nach Bedarf formbar. Es genügen einige Maßnahmen wie “Unterrichtsqualität” und “Lehrerbildung” auf ministerieller Ebene, damit sich intellektuelle Stärke von der Kultusbürokratie auf Schulen und Lehrer überträgt und letztendlich das Denken, die Motivation und die Kreativität der Kinder steigert. Das Kind, das kleinste Zahnrad in diesem Getriebe. Ein unbeschriebenes Blatt, das nur darauf wartet, beschriftet zu werden.
Die Idee, dass der Mensch ein geistig beliebig flexibles Wesen ist, dessen Seele wie Lehm geformt werden kann, ist eine der großen Ideen der Moderne. Eigentlich müssten CDU-Politiker wie Schavan kritisch gegenüber dieser Vorstellung sein. Früher war man skeptischer. In den 1950er Jahren war das konservative Menschenbild und das der Bildungspolitik eher von einer Fokussierung auf Begabung geprägt. Der Mensch ist so, wie er ist, und “Verbesserungsversuche” stoßen an natürliche Grenzen.
In den 1960er Jahren kam der Durchbruch des Bildungsoptimismus, der vor allem aus dem Behaviorismus hervorging. Menschen schienen “konditionierbar” zu sein, ihr Denken beliebig programmierbar. “Geben Sie mir ein Kind und ich forme es ganz nach Wunsch”, sagte Burrhus Frederic Skinner, der Schöpfer des radikalen Behaviorismus. Plötzlich wurde Begabung nicht nur als Voraussetzung, sondern als Ergebnis des Lernens interpretiert. Es ging darum, die Mauern zwischen den sozialen Klassen niederzureißen und absolute Chancengleichheit herzustellen. Dabei wurde fälschlicherweise Gleichheit als Identität der Menschen interpretiert und Unterschiede aufgrund biologischer Faktoren ignoriert oder heruntergespielt.
Das Konzept der prinzipiellen geistigen Gleichheit aller Menschen hat sich bis in die bürgerliche Bildungspolitik durchgesetzt und ist auch heute noch ein dominantes Motiv in den Sozialwissenschaften. Jede neue Bildungsstudie weist darauf hin, wie sehr der Bildungserfolg von der sozialen Herkunft der Eltern abhängt. Jutta Allmendinger, eine Berliner Sozialwissenschaftlerin, beklagt beispielsweise, dass nur sechs von 100 Arbeiterkindern ein Hochschulstudium beginnen, während 49 von 100 Gymnasiasten aus einkommensstarken Familien eine Universität besuchen.
Sind Intelligenz und soziale Herkunft verbunden?
Es ist ein erstrebenswertes Ziel, die Hochschulquote von Arbeiterkindern zu erhöhen. Aber liegt es wirklich nur am Einkommen der Eltern, dass Kinder aus wohlhabenderen Familien häufiger die Chance auf ein Studium haben? Könnte es nicht auch sein, dass intelligente Eltern durchschnittlich nicht nur mehr verdienen, sondern auch häufiger intelligente Kinder haben?
Neue Erkenntnisse aus der Psychologie und der Hirnforschung zeichnen ein anderes Bild vom Menschen. Der Mensch ist kein beliebig veränderbares Individuum, keine unbeschriebene Tafel. Das Gehirn ist ein Produkt der Evolution und verdankt sich genetischen Veränderungen sowie der natürlichen Auslese. Das bedeutet, dass auch das geistige Leistungsvermögen zu einem nicht unwesentlichen Teil vererbt wird.
Der Geist ist nicht frei, sondern ein Produkt des Gehirns. Jeder Gedanke, jede Erkenntnis, jeder Satz entsteht in einem Netzwerk von Milliarden von Nervenzellen und Billionen von Verknüpfungen. Heutzutage ist es möglich, den Ursprung des Denkens bis ins kleinste Detail zu verfolgen und zumindest in Ansätzen zu verstehen. Beispielsweise spielt das Gen namens “Creb” eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Langzeitgedächtnisses. Das Erbmerkmal FoxP2 ist eng mit der Fähigkeit zur Sprache und zum Sprechen verbunden. Es gibt vermutlich viele Gene, die an der Entwicklung der Intelligenz beteiligt sind. Mittlerweile sind rund 300 Gene bekannt, deren Fehlfunktion zu geistiger Behinderung führen kann.
Aber das bedeutet nicht, dass der Mensch eine Marionette ist, die nur an einem Faden der Erbinformation hängt. Die Gene sind keine Vorbestimmung, sie eröffnen Möglichkeiten. Sie schränken die Bedeutung des Bildungssystems nicht ein, sondern machen Bildung erst möglich.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Körpergröße. Wie groß ein Mensch wird, ist zu einem großen Teil genetisch vorherbestimmt. Die tatsächliche Größe hängt jedoch von den Umständen ab. Zeiten des Mangels lassen Menschen verkümmern, während Zeiten des Überflusses das Wachstum fördern.
Auch die Sprachfähigkeit ist angeboren. Die konkrete Sprache, die jemand spricht, wird dagegen von der Umgebung bestimmt. Ähnliches gilt für spezielle Fähigkeiten. Sie sind zum großen Teil biologisch festgelegt, aber das Umfeld und der kulturelle Hintergrund bestimmen mit, ob ein Talent ausgelebt werden kann. Beethovens musikalisches Genie wäre in einer Steinzeithorde sicherlich auch zur Geltung gekommen, aber für Symphonien war die Zeit einfach noch nicht reif.
Anlage und Umwelt treffen in der Persönlichkeit aufeinander und prägen den Menschen gemeinsam. Die Natur und die Umwelt formen den Menschen. Die Wissenschaft zeigt, dass das Gehirn eine erstaunliche Plastizität besitzt und sich aufgrund von Umweltreizen verändern kann. Die Epigenetik untersucht, wie die Umwelt die Aktivität der Gene beeinflusst.
Aus den einstigen Gegenspielern – Begabung gegen Erziehung – ist ein erfolgreiches Team geworden. Dennoch ist der grundlegende Veränderungsoptimismus in Bildungs- und Politikerkreisen bis heute nicht verschwunden, wie der Hirnforscher Roth beklagt. Eigentlich ist es sogar noch schlimmer geworden. Nicht nur der junge Mensch ist den Älteren ausgeliefert, sondern auch die Älteren sollen ein Leben lang lernen, flexibel sein und bis ins hohe Alter effektiv arbeiten – “ohne jegliche wissenschaftliche Begründung”, wie Roth meint.
Der Glaube an Bildung und Erziehung gibt Hoffnung und Optimismus. Die Vorstellung, dass das Lernen Grenzen hat, fällt dagegen schwer. Damit verbinden sich leicht Arroganz, Fatalismus und Pessimismus. Es ist frustrierend, nicht in allem frei zu sein und sich nicht jederzeit so entwickeln zu können, wie man es gerne möchte.
Aber die Anerkennung, dass manche Schüler von Natur aus in bestimmten Bereichen begabter sind, ist keine Wertung. Und es bedeutet vor allem nicht, die Hände in den Schoß zu legen, weil die Natur angeblich alles vorbestimmt hat. Vielmehr geht es darum, das Potenzial jedes Menschen so weit wie möglich zu entwickeln.
Die Kombination von Anlage und Umwelt bei der geistigen Entwicklung des Menschen lässt Schavans These von der Allmacht der Kultusbürokratie zweifelhaft erscheinen. Hat das bedeutende Bildungsgefälle an deutschen Schulen andere Ursachen? Vielleicht ist das schlechtere Abschneiden der Schüler im Norden nur ein Indiz.
Es handelt sich um eine Hypothese, nicht mehr. Dennoch wird sie gestützt durch die Tatsache, dass Wehrpflichtige aus Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen bei Tests der Bundeswehr besser abschneiden als solche aus Ländern wie Bremen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt. Es ist denkbar, dass der Süden intelligenter ist als der Norden, zumindest im statistischen Durchschnitt. Über den Einzelnen lässt sich damit jedoch nichts aussagen.
Regionale Unterschiede in der Intelligenz, oft gemessen durch unterschiedliche IQ-Tests, sind ein verbreitetes Phänomen. Über die Ursachen wird heftig diskutiert. Randy Thornhill von der Universität New Mexico vermutete kürzlich einen Zusammenhang zwischen einem niedrigeren IQ in wärmeren Ländern und dem Auftreten schwerer Infektionskrankheiten wie Malaria und Tuberkulose. Es ist denkbar, dass Kinder in tropischen Regionen ihre kostbaren Ressourcen von der Gehirnentwicklung teilweise in die Bekämpfung von Malaria “umleiten”. Dies ist jedoch nur eine spekulative Vermutung. Malaria ist in Deutschland kein Problem. Aber könnten die unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen des Landes teilweise zur Verteilung von Intelligenz beitragen?
Die Geschichte Berlins verdeutlicht dies. Dem Aufstieg zur Metropole folgte ein Niedergang. Diktatur, Krieg und Kalter Krieg führten zu einem Rückschritt der Stadt. Als die Mauer fiel, hatten die meisten großen Unternehmen Berlin bereits verlassen, obwohl Westberlin als demokratisches Schaufenster mit Steuergeldern unterstützt wurde. Gleichzeitig hatte Ostberlin wie die gesamte DDR einen Exodus fähiger Fachkräfte hinter sich.
Im Gegensatz dazu konnte der Süden Deutschlands in den letzten Jahrzehnten Erfolge verbuchen. Er florierte und zog Talente aus ärmeren Regionen des Nordens an, die den Menschen dort weniger Entwicklungsmöglichkeiten boten.
Vielleicht hat das Bildungsgefälle in solchen Prozessen eine seiner vielen Ursachen. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Weg von Natur zu Kultur keine Einbahnstraße ist. In diesem Fall haben historische und wirtschaftliche Entwicklungen dazu geführt, dass viele Begabte sich in einer Region des Landes niedergelassen haben. Die Kultur hat die Natur geformt und nun prägt sie wiederum die Kultur – eine enge Wechselbeziehung.
Für eine Stadt wie Berlin bedeutet das, dass sie nicht von heute auf morgen im Bildungswettbewerb aufholen kann. Intelligenz ist keine unbegrenzte Ressource, die beliebig produziert werden kann. Dennoch gibt es Hoffnung, dass die Stadt wieder zu einem Anziehungspunkt für kluge Köpfe geworden ist. Berlin wird bestimmt nicht dümmer.