Auf der Oranienstraße in Berlin Kreuzberg lodern Flammen meterhoch aus selbst errichteten Barrikaden, auf der Fahrbahn liegen faustgroße Steine, im Licht des Feuers sind Randalierer und ein Punk auf dem Bürgersteig zu sehen. Diese Szene stammt aus der Nacht des 1. Mai 1987, dem Ursprung aller Berliner Mai-Randale-Rituale. In dieser Nacht brannten nicht nur Barrikaden, sondern auch Autos und Geschäfte, Menschen rannten, warfen Steine, plünderten Läden und schrien Hassparolen. Die Polizei war über 17 Stunden im Einsatz. Helmut Sarwas, damals 29 Jahre alt und Truppführer einer Hundertschaft in Kreuzberg, beschreibt diese Szenen als “wie im Krieg”.
Heute, 30 Jahre später, erinnern sich Sarwas und andere Beteiligte an diesen Gewaltausbruch, der Kreuzberg seitdem begleitet. Sarwas war damals bei einem Fest am Lausitzer Platz, das von der Alternativen Liste (AL) und der SEW, dem West-Ableger der SED, veranstaltet wurde. Fotograf Michael Hughes war für das Kiezmagazin “Südost Express” dort, um Fotos von den Feierlichkeiten zu machen.
Die Vorbereitungen der Polizei auf diesen Tag waren wie in den Vorjahren. Die meisten Polizisten waren bereits im Feierabend, als die Gewalt ausbrach. Sarwas und seine Kollegen waren nur mit Schienbeinschonern und Helmen ausgerüstet. Sie hatten die Aufgabe, die Oranienstraße zu räumen, doch die Straßen waren mit Pflastersteinen übersät, wodurch sie nur langsam vorankamen. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizisten, Aktivisten und Anwohnern dauerte die ganze Nacht an.
Am nächsten Morgen kehrte endlich Ruhe ein. Die Bilanz dieser Straßenschlacht war jedoch verheerend: Fast 200 verletzte Polizisten, vier verletzte Feuerwehrmänner und über 50 Festnahmen. 34 Geschäfte wurden geplündert und zerstört. Die Supermarktkette Bolle an der Ecke Wiener- und Skalitzer Straße wurde zum Sinnbild der Mai-Randale von 1987. Nach der Plünderung brannte das Geschäft aus. Jahre später wurde bekannt, dass kein linker Randalierer, sondern ein Pyromane den Brand gelegt hatte.
Die Gewalt am 1. Mai eskalierte in den folgenden Jahren immer wieder, aber es war nie wieder so wie 1987. Die Polizei änderte ihre Strategie und setzte verstärkt auf Deeskalation. Seit 2003 findet das “MyFest” im Kiez rund um die Oranienstraße statt, um den Krawallen entgegenzuwirken. Doch die linke Szene sieht die Veranstaltung mittlerweile kritisch und bezeichnet sie als unpolitische Saufgelage.
30 Jahre nach den ersten Mai-Krawallen hofft der damalige Polizeitruppführer Sarwas immer noch auf einen friedlichen 1. Mai. Die Zeiten haben sich jedoch geändert, und er glaubt, dass es heute nicht mehr so viele Irre gibt wie damals.
Die Polizei ist auch in diesem Jahr wieder bereit, mit rund 6000 Polizisten aus sechs Bundesländern die Kontrolle über den 1. Mai in Berlin zu behalten. Die Behörde ist gut vorbereitet und geht am besten mit solchen Lagen um. Man wird sehen, wie sich die Situation in diesem Jahr entwickelt.
Der Tag darf nicht vor dem Abend gelobt und in Kreuzberg nicht der Abend vor der Nacht genommen werden.
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