Warum Amnesty International keinen Boykott der WM in Katar fordert

Warum Amnesty International keinen Boykott der WM in Katar fordert

WM-Zeit ist normalerweise eine Zeit des geselligen Beisammenseins: Fans versammeln sich auf öffentlichen Plätzen und in Bars, um die Spiele zu verfolgen und mit den Teams mitzufiebern. Doch die diesjährige WM ist anders. Anstatt in den Sommermonaten findet das Fußballspektakel in diesem Jahr in den kalten Novembertagen statt. Die Vorfreude wird getrübt: Statt herausragender fußballerischer Leistungen machen diskriminierende Aussagen des WM-Botschafters von Katar, ausstehende Entschädigungszahlungen und fortlaufende Menschenrechtsverletzungen Schlagzeilen.

Amnesty International hat sich schon kurz nach der Vergabe der FIFA WM 2022 an Katar im Jahr 2010 kritisch geäußert. Zahlreiche Berichte von Organisationen wie Amnesty International haben schwere Missbräuche bei den Arbeitsmigranten aufgedeckt, die für den Bau der WM-Infrastruktur ins Land geholt wurden. Dies hat zu immer lauter werdenden Boykottforderungen geführt. Mehrere Lokale in verschiedenen Schweizer Städten haben beschlossen, auf öffentliche Public Viewings zu verzichten. Die Schweizer Stadt Vevey hat dem Beispiel der französischen Hauptstadt Paris gefolgt und sämtliche Veranstaltungen im öffentlichen Raum im Zusammenhang mit der WM in Katar verboten. Auch im privaten Umfeld häufen sich Aussagen wie: “Ich werde mir diese WM nicht anschauen” oder “Die FIFA wird nie mehr einen Rappen an mir verdienen.”

Der Boykott soll ein Zeichen setzen, um Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der Arbeitsmigranten zu erreichen und der FIFA zu zeigen, dass eine Vergabe der WM ohne Berücksichtigung der Menschenrechte nicht mehr akzeptiert wird. Amnesty International hat sich jedoch für einen anderen Ansatz entschieden.

Für nachhaltige Verbesserungen sorgen

Immer mehr Fans informieren sich über die Menschenrechtslage in Katar und fordern einen sozial verträglichen Fußball. Das ist sehr erfreulich. Es ist höchste Zeit, bei solch großen Sportveranstaltungen kritisch hinzuschauen.

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Amnesty International ruft jedoch nicht zum Boykott auf – wir respektieren jedoch diejenigen, die dies als politisches Druckmittel nutzen möchten. Um Druck auf die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen auszuüben und Verbesserungen zu erreichen, bedarf es verschiedener politischer Instrumente, die sich ergänzen. Ein Boykott kann eines davon sein.

Als Menschenrechtsorganisation haben wir selbst Regeln festgelegt, wie wir politisch agieren wollen. Eine dieser Regeln besagt, dass wir einen Boykott nur dann unterstützen, wenn wir alle zumutbaren Anstrengungen gegenüber einem Unternehmen oder einem Land unternommen haben, jedoch keine Verhaltensänderung erfolgt ist.

In Katar ist das nicht der Fall: Die Regierung Katars hat Reformen eingeleitet und wir sehen positive Fortschritte, wie beispielsweise ein Gesetz zur Regulierung der Arbeitsbedingungen von Hausangestellten, einen Entschädigungsfonds für Lohndiebstahl und die Einführung eines Mindestlohns. Doch trotz unserer Recherchen und des daraus resultierenden politischen Drucks erfüllen weder Katar noch die FIFA ihre Verantwortung in Bezug auf die Menschenrechte vollständig. Es ist unsere Aufgabe, den politischen Druck während der Spiele aufrechtzuerhalten, um sicherzustellen, dass die Reformen in Katar umgesetzt werden und Menschenrechtsstandards für zukünftige Sportveranstaltungen gewährleistet werden.

Wenn wir die FIFA-WM boykottieren würden, würden wir riskieren, dass die bereits erzielten Reformen nach dem Abpfiff hinfällig werden. Das müssen wir verhindern. Als Menschenrechtsorganisation ist es unsere Aufgabe, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, unsere Ergebnisse zu veröffentlichen und Druck für positive Veränderungen zu erzeugen. Deshalb halten wir den Dialog mit der FIFA, der UEFA, den katarischen Behörden und den Nationalmannschaften aufrecht.

Verantwortliche reagieren auf Druck

Unser Erfolg spricht für unseren Ansatz. Noch 2015 erklärte die FIFA, dass Menschenrechtsverletzungen beim Stadionbau nicht in ihrer Verantwortung liegen. Diese Position hat sich mittlerweile geändert. Die FIFA hat Menschenrechte in ihre Statuten aufgenommen und eine Nachhaltigkeitsstrategie für die WM verabschiedet. Die katarische Regierung hat 2017 eine Reihe wegweisender Reformen beschlossen, deren Umsetzung jedoch weiterhin unzureichend ist. Wir bleiben dran und fordern fortlaufende Verbesserungen.

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Was bisher noch aussteht, ist ein umfassender Mechanismus zur Entschädigung von erlittenen Menschenrechtsverletzungen. Daher fordern wir die FIFA und die katarische Regierung auf, einen solchen Mechanismus einzuführen. Jetzt ist die Zeit zum Handeln gekommen und die Achtung der Menschenrechte im Fußball und in Katar endlich in den Mittelpunkt zu rücken.

Wir halten den öffentlichen Druck aufrecht. Wir reden über Fußball, Menschenrechte und Katar. Wir boykottieren die WM nicht, sondern nutzen den Anlass, um Verbesserungen der Menschenrechtslage in Katar zu erreichen. Wir möchten, dass die Menschen in der Schweiz und insbesondere die Fußballfans über die Umstände, unter denen diese WM stattfindet, informiert werden und sie zum Handeln aufrufen. Wir möchten, dass die Menschen nicht nur zuschauen, sondern genau hinschauen – auch hinter die Kulissen. Deshalb sind wir bei mehreren Public Viewings präsent. Wir fordern die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte – im Fußball, in Katar und überall auf der Welt.