Warum beten Menschen?

Warum beten Menschen?

Beten ist eine faszinierende Praxis, die Menschen auf unterschiedliche Weise anspricht und in eine andere Welt eintauchen lässt. Dabei muss man nicht unbedingt an Gott glauben. Viele Menschen haben letztendliches Vertrauen in eine höhere Macht, das Wohlwollen des Universums, eine allumfassende Liebe oder den Kosmos. Das Gebet ermöglicht es, sich mit dem Geheimnisvollen, dem Größeren in Kontakt zu bringen und eine andere Dimension zu berühren.

Eine persönliche Erfahrung trotz gemeinschaftlicher Praxis

Beten hat nicht nur eine spirituelle Bedeutung, sondern dient auch dazu, den Tag, die Woche und das Jahr zu strukturieren. Es ist ein kulturelles Gut und Brauchtum, das Menschen zusammenbringt und ein Wirgefühl schafft. Vertraute Verse und Melodien vermitteln Geborgenheit und bringen Menschen näher. Obwohl das innere Erleben beim Beten höchst persönlich und intim sein kann, ist gemeinsames Beten ein kollektives Erlebnis. Es bringt Solidarität und ein Gefühl der Verbundenheit in der Gemeinschaft hervor.

Eine psychohygienische Funktion

Regelmäßiges Gebet hat auch eine psychohygienische Funktion. Es bietet Raum für Innenschau und Reflexion. Beispielsweise kann das abendliche Zehnfingergebet dabei helfen, zehn gute Gründe zu finden, dankbar zu sein. Eine ähnliche Funktion erfüllt das afrikanische Bohnengebet, bei dem man morgens eine Handvoll Bohnen in die rechte Tasche steckt und in jedem freudvollen Moment eine Bohne in die linke Tasche wandern lässt. Am Abend werden diese Momente dann Revue passiert und dafür gedankt.

Der Körper als Ausdruck des Gebets

Die Art und Weise, wie wir uns beim Beten körperlich ausdrücken, symbolisiert nicht nur unsere innere Haltung, sondern ruft auch das entsprechende Gefühl hervor. Gebetsgesten und -haltungen haben somit eine tiefere Bedeutung. Eine Verbeugung zum Beispiel bringt Anbetung, Hingabe und die Bereitschaft, sich selbst loszulassen, zum Ausdruck. Auch das Knien oder das Liegen auf dem Bauch haben eine symbolische Bedeutung. Es zeigt Demut und das Bewusstsein, dass wir Menschen nur Staub sind. Verschiedene Bewegungen des Körpers wie Pilgern, Prozessionen oder das Sonnengebet, bei dem jede Körperbewegung mit einem Mantra verbunden ist, ermöglichen uns, das Beten auch gehend zu praktizieren.

LESEN  Harz-Familien

Der Körper spielt beim Beten also eine wichtige Rolle. In seinem Buch “Küssen ist Beten” setzt sich Wunibald Müller für mehr Körperlichkeit in der Spiritualität ein. Sinnlichkeit und Bewegung sind kein Gegensatz zu Gebet und Spiritualität, sondern gehen Hand in Hand. Auch das Singen und andere kreative Künste können Ausdrucksformen des Gebets sein, wie zum Beispiel das Malen von Ikonen oder das Streuen von Mandalas mit buntem Sand.

Beten hat viele Facetten und dient unterschiedlichen Bedürfnissen. Es ermöglicht den Menschen, sich mit dem Größeren, dem Geheimnisvollen in Kontakt zu bringen und sich in einer anderen Dimension zu bewegen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man an Gott glaubt oder nicht. Das Gebet hat auch eine gemeinschaftliche Funktion und schafft ein Gefühl der Verbundenheit. Zudem hat es eine psychohygienische Funktion und regt zur Reflexion und Innenschau an. Der Körper ist ein wichtiger Ausdruck des Gebets und unterstützt die innere Haltung. Insgesamt bietet das Beten eine Vielfalt an Möglichkeiten, um sich mit sich selbst, anderen Menschen und dem Größeren zu verbinden.