Als Christ in der Diaspora zu leben, kann eine aufregende Erfahrung sein. In einem Interview mit katholisch.de stellte der Berliner Hochschulseelsorger Pater Max Cappabianca die These auf, dass das Christsein in einem kirchenfernen Umfeld glaubwürdiger gelebt werden könne. Ist dem so? Wir haben mit Pastor Giele gesprochen, der in Leipzig in einer Gemeinde in der Diaspora tätig ist.
Unterschiedliche Formen des Christseins
Pastor Giele empfindet es als schwierig, die Situation in Leipzig mit volkskirchlich geprägten Regionen zu vergleichen. Das Christsein werde in beiden Fällen auf unterschiedliche Weise gelebt, und er könne nicht sagen, was besser oder schlechter sei. Natürlich gebe es Momente, in denen er neidisch auf gewisse Selbstverständlichkeiten in katholisch geprägten Gebieten schaue. Gleichzeitig erlebe er jedoch täglich die Stärken der Diaspora. Das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gemeinschaft sei hier stärker, da es nicht selbstverständlich sei. Zudem habe er den Eindruck, dass das Christsein in der Diaspora bewusster gelebt werde, da man öfter mit Rechtfertigungsdruck konfrontiert sei.
Die ostdeutsche Diaspora als Zukunft der Kirche?
Die These, dass die ostdeutsche Diaspora die Zukunft der Kirche in Deutschland darstellt, sieht Pastor Giele mit gemischten Gefühlen. Er hoffe und bete, dass dies nicht der Fall sei. Seiner Meinung nach unterscheide sich die ostdeutsche Diaspora deutlich von der Minderheitensituation in Westdeutschland. Während es im Westen zwar ebenfalls einen Abschied aus der verfassten Kirche gebe, bestehe dort dennoch eine grundsätzliche Bejahung des Göttlichen. Im Osten hingegen hätten die meisten Menschen keinen Bezug zur Transzendenz. Sie könnten gut ohne Gott leben, da ihnen gar nicht bewusst sei, dass ihnen etwas fehle. Daher müsse man die regionalen Unterschiede zwischen Ost und West bei der Entwicklung der Kirche in Deutschland berücksichtigen.
Die Kraft der Diaspora
In einem Beitrag für das Diaspora-Jahrbuch des Bonifatiuswerks schrieb Pastor Giele kürzlich über die Stärken der ostdeutschen Diaspora. Er erwähnte einen Wandel in den vergangenen Jahren, bei dem die Gemeinden sich ihrer Stärken bewusster geworden seien. Die Akzeptanz der aktuellen Situation habe zu einer positiveren Stimmung geführt. Genaueres darüber wollte er uns erzählen.
Pastor Giele beobachtet schon seit vielen Jahren eine bedrückte Grundstimmung in der deutschen Kirche. Überall höre man das Wort “noch” – “noch haben wir einen Pfarrer”, “noch gibt es bei uns jeden Sonntag einen Gottesdienst”. Diese Atmosphäre könne kaum vermitteln, dass die Kirche eine frohe Botschaft zu verkünden habe. In seiner Gemeinde jedoch spüre er eine andere Stimmung. Hier sei eine Freude am Glauben spürbar, die Menschen neugierig mache und für die Kirche und ihre Botschaft begeistern könne. Viele Gemeindemitglieder sind der Meinung, dass Gott sie in die Realität der Diaspora gestellt habe und dass sie das Beste daraus machen sollten.
Insgesamt zeigt sich, dass das Leben als Christ in der Diaspora zwar seine Herausforderungen mit sich bringt, jedoch auch ein besonderes Potential birgt. Die Gemeinschaft in der Diaspora kann stärker und bewusster sein, und die Akzeptanz der Situation kann zu einer positiven Stimmung führen. Die ostdeutsche Diaspora könnte daher eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Kirche in Deutschland spielen.