Warum der Gebrauchtwagenmarkt für Elektroautos nicht in die Gänge kommt

Warum der Gebrauchtwagenmarkt für Elektroautos nicht in die Gänge kommt

Die Elektromobilität hat das Potenzial, sich unter Marktbedingungen zu etablieren. Dafür ist jedoch ein ausreichend großes Angebot an gebrauchten Elektroautos in allen Preisklassen erforderlich. Im Gegensatz zu herkömmlichen Verbrennungsmotoren gibt es jedoch nur wenige gebrauchte Elektrofahrzeuge auf dem Markt. Laut Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, ist dieser Markt jedoch “enorm wichtig für das gesamte Ökosystem der Elektromobilität”.

Warum die Käufer zögern

Die Marktbeobachter der DAT Automobiltreuhand stellen für das kommende Jahr eine “deutlich spürbare Kaufzurückhaltung der Endverbraucher” auf dem gesamten Automobilmarkt fest. Elektroautos sind immer noch vergleichsweise wenig gefragt, und gebrauchte Elektrofahrzeuge werden nur mit hohem Beratungsaufwand und Abschlägen verkauft. Laut einer aktuellen Studie von Dekra und Ipsos Marktforschung geben die Kunden im Durchschnitt rund 15.000 Euro weniger aus als im Oktober 2022 – ein Preisrückgang von 31 Prozent.

Eine telefonische Anfrage im Berliner Audi-Zentrum ergab ein Angebot von 31.900 Euro für einen zwei Jahre alten E-Tron 50, also rund 45.000 Euro unter dem Neupreis. Der Grund dafür ist unter anderem das Alter des Fahrzeugs. Denn wenn Kunden sich für ein gebrauchtes Elektroauto entscheiden, wählen sie in 90 Prozent der Fälle ein Fahrzeug, das ein Jahr alt ist. Da sich Batterietechnologie, Reichweite und Ladekapazität immer weiter verbessern, werden Elektrofahrzeuge mit veralteter Technologie schnell zu Ladenhütern.

Förderpolitik als Hindernis

Käufer von gebrauchten Elektrofahrzeugen haben in Bezug auf den Preis nur einen geringen Vorteil gegenüber staatlich geförderten Neuwagen. Die Förderung von gebrauchten Elektroautos wird aufgrund vieler Einschränkungen als “Rohrkrepierer” bezeichnet, so Marcus Weller, Experte für Elektromobilität beim Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK).

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Wenn große Anbieter wie Tesla plötzlich mit Rabatten oder Preissenkungen agieren, ist das “enorm schädlich für den Restwert der Bestandsfahrzeuge”, so Automarktexperte Stefan Bratzel. Autovermieter wie Sixt haben bereits reagiert und Tesla aus ihrem Angebot genommen. Auch Konkurrent Hertz bremst sein Engagement, da Reparaturen an Elektrofahrzeugen etwa doppelt so teuer sind wie bei Verbrennungsmotoren. Dies hat mittelfristige Auswirkungen auf das Angebot an gebrauchten Elektroautos.

Leasing: Wachsendes Risiko für die Hersteller

Nicht die Fahrzeugentwicklung bereitet den Herstellern in den kommenden Monaten und Jahren die größten Kopfschmerzen, sondern die dazugehörigen Autobanken. Die erste Generation von Leasingrückläufern, meistens Elektroautos aus dem gewerblichen Bereich, drängt auf den Gebrauchtwagenmarkt. Diese Leasingfahrzeuge, die nach Vertragsende zum Hersteller zurückkehren, treffen nun auf eine kaum vorhandene Nachfrage und erzielen voraussichtlich nicht die Preise, die bei Vertragsabschluss kalkuliert wurden.

VW, dessen Finanzsparte selbst ein großer Gebrauchtwagenvermarkter ist, muss die Restwerte seiner Elektro-Leasingrückläufer entsprechend anpassen. Bei VW Financial Services sind 95 Prozent der Kunden von Elektrofahrzeugen Leasingnehmer. Ihnen soll ein zweiter oder sogar ein dritter Leasingzyklus angeboten werden.

Verkauf als zentrale Herausforderung

Die Branche hat das Ausmaß der Situation erkannt, gibt es jedoch meist nur hinter vorgehaltener Hand zu. Die Verkäufer vor Ort sollen es nun richten. Allerdings besteht eine brisante Beziehung zwischen Herstellern und Händlern. Seit der Corona-Krise fungieren die Vertragshändler meist nur als Vermittler für die Hersteller gegen Provision. Preise und Vertrieb obliegen nun den Herstellern. Daher müssten die Hersteller ihre Leasingrückläufer nun selbst vermarkten. Diese Herausforderung möchte der VW-Konzern durch Auktionsplattformen angehen, die sich wiederum an die Händler richten.

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Um die Hindernisse zu überwinden, fordern Branchenbeobachter wie die Unternehmensberatung McKinsey eine Neuausrichtung der Vertriebsstrategien der Hersteller. Neben attraktiveren Leasingangeboten wird empfohlen, nicht nur den Verkauf von Neuwagen in Betracht zu ziehen. Auto-Abos, Leasing von Gebrauchtwagen oder Mietmodelle für den Gebrauchtwagenmarkt könnten mehr Kunden anziehen und ihre Bedenken überwinden, solange es keine günstigen gebrauchten Elektroautos gibt.

Das Problem bleibt jedoch der immer noch als zu hoch empfundene Kaufpreis von neuen und gebrauchten Elektrofahrzeugen. Deshalb kommen, wenn überwiegend teure Elektroautos produziert werden, später immer noch zu teure Gebrauchte auf den Markt.

Quelle: heise.de