Schuheputzen ist für die meisten Kinder keine beliebte Aufgabe. Aber am Abend des 5. Dezembers haben Eltern einen Trick: “Wenn deine Stiefel zu schmutzig sind, mag der Nikolaus vielleicht nichts reinlegen.” Und schon sind die Kinder eifrig damit beschäftigt, ihre Schuhe zu putzen. Vielleicht warten sie anschließend müde an der Tür oder am Fenster, um einen Blick auf den freundlichen alten Mann mit rotem Mantel und weißem Bart zu erhaschen. Wie jedes Jahr wird es jedoch nicht gelingen. Aber am nächsten Morgen sind die Schuhe trotzdem mit Nüssen, Mandarinen und Süßigkeiten gefüllt.
Aber warum stellen wir am Abend vor dem Nikolaustag unsere Schuhe raus? Um das herauszufinden, müssen wir die Geschichte des heiligen Nikolaus kennen – zumindest die bekannteste von vielen Mythen und Geschichten, die sich um ihn ranken. Hier ist sie:
Die Geschichte des heiligen Nikolaus
Nikolaus wuchs in einem schönen Haus mit einem großen Garten in der heutigen Türkei auf. Seine Familie war sehr reich, aber seine Eltern starben früh und er war oft einsam. Eines Tages kam er an einem alten und unansehnlichen Haus in seiner Nachbarschaft vorbei. Es gehörte einem armen Mann, der drei Töchter hatte. Nikolaus hörte den Mann zu seinen Töchtern sagen: “Ich weiß, dass ihr nun alt genug seid, um zu heiraten, und ihr das auch gerne möchtet. Aber leider habe ich kein Geld, um euch die Hochzeit und die Mitgift zu bezahlen. Ihr könnt also nicht heiraten.”
Die jüngste Tochter schlug vor: “Vater, wenn du mich als Dienstmagd oder Sklavin verkaufst, könnten wenigstens meine beiden Schwestern heiraten.” Der Vater war schockiert. Er wollte seine Tochter nicht verkaufen, wusste aber nicht, wie er das Problem lösen sollte.
In der Nacht flog ein Säckchen Gold durch das Fenster der ältesten Tochter. Sie fand es am nächsten Morgen und war überglücklich: Jetzt konnte sie heiraten. In der nächsten Nacht flog ein weiteres Goldsäckchen durch das Fenster der mittleren Tochter. Sie freute sich sehr, genauso wie ihr Vater und ihre Schwestern. Jetzt konnte auch sie heiraten. In der nächsten Nacht beschloss der Vater, den Wohltäter zu beobachten, falls er noch einmal käme. Er legte sich auf die Lauer, schlief jedoch ein. Plötzlich klirrte es, ein weiteres Goldsäckchen landete in der Wohnung. Der Vater lief schnell hinaus und erwischte Nikolaus, den reichen, aber einsamen jungen Mann aus der Nachbarschaft. Der Vater war überaus dankbar, aber Nikolaus bat ihn, niemandem davon zu erzählen. Am nächsten Morgen freuten sich alle über das Goldsäckchen für die dritte Tochter.
Die Töchter führten ein glückliches Leben, gründeten Familien und bekamen viele Kinder. Aber sie fragten sich immer wieder, wer ihnen das Geld geschenkt hatte. Als ihr Vater alt war, verriet er ihnen endlich, dass es Nikolaus war. Nikolaus hatte sein ganzes Vermögen an die Armen verschenkt, war weithin als Wohltäter bekannt und wurde zum Bischof der Stadt Myra aufgestiegen.
Die Bräuche am Nikolaustag
Diese schöne Geschichte hat den sogenannten “Einlegebrauch” begründet. Kinder stellen in der Nacht zum 6. Dezember ihre frisch geputzten Schuhe vor die Tür und finden sie am nächsten Morgen mit Leckereien gefüllt. Manchmal spricht die Legende auch von drei großen Goldstücken oder Goldkugeln, die Nikolaus durchs Fenster wirft. Deshalb werden in Kirchenbildern oft darstellungen von Nikolaus mit drei Goldkugeln in den Händen gezeigt. In einigen Versionen wirft er das Gold auch durch den Kamin, wo es in den dort aufgehängten Strümpfen der Töchter landet. Dies ist der Grund, warum Kinder in den USA an Weihnachten Socken an den Kamin hängen.
Da Nikolaus als Beschützer der Kinder und Schüler galt, entstand im Mittelalter der Brauch, dass Klosterschüler am 6. Dezember einen von ihnen zum Abt oder Bischof für einen Tag wählen durften. Der Kinderbischof hatte an diesem Tag die Macht über die Erwachsenen und konnte ihnen einmal im Jahr die Leviten lesen.
Der Nikolaustag war lange Zeit ein Fest, an dem Kinder reich beschenkt wurden. Mit der Reformation von Martin Luther wurde die Heiligenverehrung jedoch abgeschafft. Stattdessen erfand er das Christkind, das nun an Heiligabend die Geschenke brachte. Dieser Brauch setzte sich mit der Zeit auch bei den Katholiken durch. Das Nikolausfest blieb jedoch erhalten und wandelte sich. Der Schwerpunkt lag nicht mehr auf dem Schenken, sondern auf dem sogenannten Einkehrbrauch. Dabei besucht der heilige Nikolaus die Kinder zu Hause, mit einem Sack voller Geschenke auf der Schulter und einem goldenen Buch in der Hand. In diesem Buch stehen die guten und schlechten Taten der Kinder aus dem vergangenen Jahr. Nikolaus liest sie vor und lobt oder ermahnt zur Besserung, bevor er die Geschenke verteilt. Oft tritt er gemeinsam mit einem Begleiter auf, der das Böse symbolisiert. Dieser Begleiter ist oft als in Ketten gelegte Teufelsfigur dargestellt und hat je nach Region verschiedene Namen wie “Knecht Ruprecht”, “Krampus”, “Hans Muff” oder “Hans Trapp”.
In den Niederlanden widersetzten sich die Menschen den Änderungen von Luther. Dort findet die Bescherung immer noch am Nikolaustag statt. Ihr Santa Claus oder Father Christmas wurde durch einen großen Brausegetränkehersteller zunächst als Weihnachtsfigur in den USA bekannt gemacht und nach dem Ersten Weltkrieg als Weihnachtsmann nach Europa importiert. Die ehemalige Sowjetunion strebte ebenfalls einen Weihnachtsbrauch ohne religiöses Fest an und übernahm die säkularisierte Figur als “Väterchen Frost”.