Warum Klassiker in der Schule?

Warum Klassiker in der Schule?

Die Schüler waren frustriert über die Lektüre von Hermann Hesses Roman “Unterm Rad” und beschwerten sich so sehr darüber, dass ihr Lehrer ihnen empfahl, ihre Beschwerden an den Suhrkamp Verlag zu richten. Obwohl es spezielle Ausgaben von Hesses Werken gibt, die sich an Schüler und Studenten richten und Einblicke in Begriffe und zusätzliche Kommentare bieten, war das den Neuntklässlern nicht genug. Sie konnten zwar etwas mit der Geschichte des unglücklichen Schülers Hans Giebenrath aus dem Jahr 1906 anfangen, aber der Satzbau war zu kompliziert und es gab Wörter, die sie nicht auf Anhieb verstanden haben. Warum greift der Verlag nicht in den Text ein und macht ihn leichter lesbar?

Dieser Wunsch nach einer vereinfachten Version der Bücher ist nicht seltsam, sondern eher ungewöhnlich. Es gibt Verlage, die Texte bearbeiten, häufig auch Klassiker, um schwierige Wörter zu eliminieren, lange Sätze aufzuteilen und umständliche Beschreibungen zu streichen. Diese überarbeiteten Versionen werden dann auf den Markt gebracht und in Schulen verwendet. Welche Veränderungen genau vorgenommen wurden, ist jedoch oft intransparent. Es wird verkauft als eine Möglichkeit, schwierige Werke zugänglicher zu machen und den Abstand zwischen dem Werk und dem Leser zu verringern – allerdings auf Kosten des Werks selbst.

Mundgerechte Klassik

Diese “barrierefreie Buch”-Bewegung ist keine neue Erscheinung. Schon 1963 bezeichnete Arno Schmidt in einem Aufsatz die Forderung, dass Kunst sich dem Publikum anpassen solle, als “Naivität – korrekter: eine Frechheit!”. Es sei vielmehr die Aufgabe des Einzelnen, sich der Kunst anzupassen. Besonders im Bereich der Literatur für junge Leser geht es immer darum, Verständlichkeit vor Werktreue zu setzen. Klassiker müssen immer wieder an die jeweilige nachwachsende Generation angepasst werden, insbesondere Texte im Fremdsprachenunterricht, bei denen der Wortschatz und der Umfang reduziert werden, um eine bessere Verständlichkeit für deutsche Schüler zu gewährleisten. Ein Beispiel dafür ist die Bearbeitung von Schillers “Wilhelm Tell” durch den Mönchengladbacher Hahnraths Verlag, die Teil einer Schulbuchreihe ist, die Literaturklassiker für Förderschüler aufbereitet. Dadurch lässt sich der Inhalt des Dramas leichter verstehen und eine Fülle von Sacherläuterungen hilft enorm. Jedoch bleibt von Schillers Blankversen nicht viel übrig.

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Ein weiterer Grund, in die Texte von Klassikern einzugreifen, wenn sie sich an Kinder und Jugendliche richten, ist das Weltanschauliche. Hierbei zielt man auf Sachverhalte oder einzelne Ausdrücke ab, mit denen man junge Leser nicht konfrontieren möchte. Beispielsweise hat der Stuttgarter Thienemann Verlag Anfang 2013 bekannt gegeben, dass Otfried Preußlers Kinderbuch-Klassiker “Die kleine Hexe” von 1957 nur noch in einer bearbeiteten Fassung veröffentlicht wird, in der das dort ursprünglich verwendete Wort “Negerlein” entfernt wurde. Auch in den Ausgaben von “Pippi Langstrumpf” des Hamburger Oetinger Verlags wurde nach dem Tod der Autorin Astrid Lindgren aus dem “Negerkönig” ein “Südseekönig”. Dieser Schritt wurde damit begründet, dass das Wort “Neger” heute eine abwertende Bedeutung hat, die von den beiden Autoren nicht beabsichtigt war.

Es gibt also verschiedene Gründe, warum Klassiker bearbeitet werden, insbesondere wenn sie für junge Leser bestimmt sind. Obwohl dies den ursprünglichen Werken nicht immer gerecht wird, ermöglicht es den Lesern einen einfacheren Zugang zur Literatur und hilft beim Verständnis.