Warum lässt Gott das zu? Diese Frage stellen sich viele angesichts der aktuellen Ereignisse in der Türkei, Syrien und der Ukraine. Das Leid, das diese Katastrophen mit sich bringen, lässt uns ratlos zurück. Manche zweifeln sogar daran, dass es einen Gott gibt. Doch warum greift Gott nicht ein? Kann er nicht oder will er nicht? Diese Fragen stellen sich sowohl die Gläubigen als auch die Spötter. Schließlich ist Gott der allmächtige Schöpfer, er müsste doch helfen können!
Gott leidet mit
Gott ist jedoch nicht einfach der rettende Held, der in der Not zur Stelle ist. Viele Menschen erfahren ihn als jemanden, der mit ihnen fühlt und mit ihnen trauert. Jesus am Kreuz hat das größte menschliche Leid ertragen und ausgehalten. Er hört ihre Klagen und beschützt sie, er hat Mitleid mit seinem Volk in ihrer Not. Aus dieser Perspektive ist Gott nicht nur ein ferner Schöpfer, sondern auch Jesus, ein Mensch, der das Elend des eigenen Lebens kennt.
Der Widerspruch zwischen dem liebenden und dem strafenden Gott
Nicht nur der Mensch kann grausam sein, auch Gottes Schöpfung kann Leid verursachen. Auf der einen Seite haben wir Sonne, Licht und Wärme, auf der anderen Seite gibt es Bergstürze, Überschwemmungen und Tierplagen. Während der Natur niemand eine Schuld zuweisen kann, kann man sie jedoch dem Schöpfer zuschreiben. Oder dem Menschen selbst. Denn der Mensch, die “Krone der Schöpfung”, erweist sich oft als das grausamste Geschöpf. Der gläubige Mensch kann nur akzeptieren, dass Gott alles so gemacht hat. Offensichtlich bietet diese Welt unzählige Möglichkeiten.
Die Bibel selbst stellt Fragen nach Gottes Gerechtigkeit und Güte. Sie fragt, warum es so schwierig ist, diese Eigenschaften Gottes zu erkennen, und warum er sogar diejenigen bestraft, die ihm vertrauen. Im Fall des frommen Hiob nimmt er ihm seine Familie und seinen Besitz. Hiob hadert mit seinem Gott, aber die Antwort bleibt aus. Gott lässt sich nicht in die Karten schauen. Nach langem Ringen bleibt Hiob trotzdem an seinem Glauben fest. Er erkennt, dass man trotz Gottes unvorstellbarer Größe Vertrauen haben kann. Über Jahrhunderte haben die Gläubigen versucht, den Widerspruch zwischen dem liebenden Gott und den schweren menschlichen Prüfungen zu überbrücken.
Gottes Handeln mit dem Verstand näherkommen
Im Zeitalter von Vernunft und Aufklärung haben die Denker versucht, den Glauben an die Anforderungen des kritischen Verstandes anzupassen. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) argumentierte, dass Gott die beste aller möglichen Welten geschaffen habe. Im Gegensatz zu Gott, der vollkommen ist, ist seine Schöpfung jedoch nicht so vollkommen. Das Leid ist keine bewusste Schöpfungsentscheidung, sondern eine unvermeidliche Folge der menschlichen Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse. Der Mensch muss sowohl die Konsequenzen einer unvollkommenen Schöpfung tragen als auch die Konsequenzen seines eigenen Handelns.
Solche vernünftigen Erklärungen des Leidens konnten die geplagten Menschen jedoch nicht zufriedenstellen. Philosophen und Denker von Feuerbach über Marx bis zu Freud haben den unantastbaren Gott angeklagt: Wo bist du, Gott, angesichts des Leidens deiner Welt? Warum greifst du nicht ein, wenn das Böse triumphiert? Bis Nietzsche den Tod Gottes verkündete: “Gott ist tot, und ihr habt ihn getötet.” Das 20. Jahrhundert übertraf mit seinen politischen, militärischen und menschlichen Tragödien alle Katastrophen der Weltgeschichte.
Der menschgewordene Gott leidet mit seiner Welt
Nach den Schlachtfeldern zweier Weltkriege, den Schrecken von Auschwitz und den verheerenden Atomangriffen wurde das traditionelle Bild von einem allgütigen und allmächtigen Gott kaum noch aufrechterhalten. Viele Juden und Christen kamen zu dem Schluss, dass Gott weder schwach noch grausam ist, sondern eher eine Illusion. Eine Welt ohne Gott, ein schweigendes Universum, das dem Menschen weder einen Weg zeigt noch ihn aufhält, ist für viele Menschen unerträglich. Auf der anderen Seite hat das Inferno des 20. Jahrhunderts vielen Menschen den Blick auf einen mitfühlenden Gott geöffnet.