Ob in Altbabylonien, im mittelalterlichen Japan oder im Europa der frühen Neuzeit: Das Weinen hatte im Laufe der Kulturgeschichte immer wieder einen guten Ruf. In solchen Epochen wurde das Entlastende an Tränen hervorgehoben: Weinen, so hieß es, könne individuelles Leid und Elend lindern.
Doch in den letzten Jahren ist auch das empirische Interesse am Weinen stark gewachsen. Die amerikanische Psychologin Lauren Bylsma von der University of Pittsburgh und ihre Mitforschenden aus den Niederlanden und Kroatien haben eine Metaanalyse durchgeführt, in der sie die sieben zentralen Faktoren zusammengetragen haben, die Einfluss darauf nehmen, wer, wann und warum in Tränen ausbricht.
Emotionale Situationen
Der Mensch weint hauptsächlich dann, wenn er eine nahestehende Person verloren hat oder von ihr räumlich getrennt ist. Heimweh, Scheidung, Todesfall – solche Verlusterfahrungen rühren die große Mehrheit zu Tränen. Menschen weinen ebenfalls in Situationen, in denen sie nicht in der Lage sind, effektiv mit einem Problem umzugehen und es zu lösen. Die Hilflosigkeit und Ohnmacht treiben die Tränen in die Augen.
Das Alter
In seiner Kindheit weint der Mensch meistens aus Schmerz oder Frust. Erst im Laufe der Jahre entwickeln wir die Fähigkeit, aus positiven Gründen zu weinen – etwa wenn wir Zeuge selbstloser Taten werden. Auch das Leid von Mitmenschen rührt generell eher Erwachsene als Kinder zu Tränen. Dabei muss der oder die Leidtragende gar nicht unbedingt selbst weinen, um empathischen Mitmenschen Tränen zu entlocken.
Die Persönlichkeit
Empathische Personen schluchzen generell deutlich mehr als der Durchschnitt. Extravertierte und offene Menschen vergießen ebenfalls häufiger Tränen. Sie gehen oft bewusst Aktivitäten nach, die emotional berührend oder aufwühlend sind. Auch Menschen, die Bindungsängste haben, weinen häufiger als andere – sowohl aus Kummer als auch vor Freude. Beziehungsvermeidende Personen hingegen weinen seltener, aber wenn, dann meist vor Schmerz.
Das Geschlecht
Frauen weinen weitaus öfter als Männer. Dabei vergießen die beiden Geschlechter im Kindesalter noch etwa gleich viele Tränen. Im Erwachsenenalter jedoch herrschen große Unterschiede: Frauen schluchzen durchschnittlich zwei- bis fünfmal pro Monat, Männer dagegen höchstens einmal. Dieser Geschlechterunterschied ist in kulturellen Vorstellungen und Normen verankert.
Der körperliche Zustand
Der körperliche Zustand kann dazu führen, dass man scheinbar grundlos weint. Eine schlechte körperliche Verfassung, Erschöpfung sowie der Konsum von Alkohol und Drogen beeinflussen den Tränendrang. Körperliche und psychische Erkrankungen sind ebenfalls langfristige Ursachen des Weinens.
Kultur
Menschen in Japan und anderen asiatischen Ländern weinen weniger als jene in den westlichen Nationen. Offensichtlich spielt also die Kultur eine Rolle. Tendenziell repräsentieren Personen im kollektivistisch geprägten Japan die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zugunsten der Gemeinschaft weniger.
Evolution
Das Weinen hat sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte etabliert, um der Mitwelt seine Not signalisieren zu können. Tränen sichern relativ leicht und schnell das Eingreifen und die Unterstützung der anderen. Auf diese Weise sollen sie den einzelnen Menschen vor der Isolation schützen und einen schmerzlindernden und sinnstiftenden Kontakt innerhalb der Gemeinschaft herstellen.
Obwohl das Weinen eine individuelle und kulturelle Komponente hat, gibt es auch gemeinsame Faktoren, die das Weinen beeinflussen. Die sieben genannten Faktoren können helfen, das Phänomen des Weinens besser zu verstehen.