„Gezwungenermaßen“…
Gurtzwang ist kein neues Wort. Es existiert schon seit vielen Generationen, seitdem der Mensch mit Pferden arbeitet. Aber was bedeutet Gurtzwang eigentlich und was kann man dagegen tun?
Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Zuerst sollte man sich den möglichen Auslöser genauer ansehen. Hier kann es erhebliche Unterschiede zwischen den Pferden geben. Grundsätzlich äußert sich Gurtzwang in einer Reaktion des Pferdes auf den Gurt. Dabei muss es nicht zwangsläufig ein Sattelgurt sein, auch ein Longier-, Voltigier- oder Packgurt kann diese Abwehrreaktion hervorrufen.
Diese Abwehrreaktion kann im Vorfeld, unmittelbar oder zeitverzögert auftreten. Im Vorfeld reagiert das Pferd bereits, bevor der Gurt es tatsächlich berührt. Unmittelbar erfolgt die Reaktion, sobald der Gurt das Pferd berührt oder angezogen wird. Zeitverzögert reagiert das Pferd erst zwei bis fünf Sekunden nach dem Gurten oder direkt beim ersten Schritt. Die Reaktionen können von erhöhter Aufmerksamkeit bis hin zum Bocken oder Steigen reichen. Die Ursachen dafür variieren von Pferd zu Pferd.
Reaktionen aus der Kategorie „im Vorfeld“ sind zum Beispiel:
- Das Ohr nach hinten richten oder flach anlegen, sobald jemand auf die rechte Seite geht, um den Gurt herunterzulassen.
- In den Führstrick oder die Anbindestange beißen oder mit den Zähnen darauf gleiten, wenn der Gurt von der linken Seite aus unter dem Bauch hindurch gegriffen wird.
Reaktionen aus der Kategorie „unmittelbar“ sind zum Beispiel:
- Das Beißen in den Führstrick oder die Anbindestange, oder das Gleiten mit den Zähnen darauf, nachdem der Gurt unter dem Bauch hindurchgezogen oder angezogen wurde.
- Das Umdrehen nach dem Bauch oder das Schnappen nach dem Gurt.
Reaktionen aus der Kategorie „zeitverzögert“ sind in der Regel:
- Das nervöse Trippeln auf der Stelle, nachdem der Gurt angezogen wurde.
- Das nach hinten Kippen lassen.
- Das Steigen oder Bocken.
- Das panische Werden und/oder Steigen oder Bocken, nachdem die ersten Schritte gegangen wurden.
Wenn der Gurt Schmerzen bereitet
Die Ursachen treten hervor, wenn der Gurt den Brustkorb zusammendrückt und Schmerzen verursacht. Dabei wird das Brustbein mechanisch in Richtung Wirbelsäule gedrückt und die Rippen vermehrt in den Einatmungszustand gebracht. Dies kann zum Beispiel Schmerzen verursachen, wenn eine verheilte, angebrochene Rippe beim Angurten belastet wird. Ebenso können alte Verletzungen der thorakalen Muskelschlinge dazu führen, dass ein Nerv gereizt wird. Ein Magengeschwür kann zu einer Blockade der Brustwirbelgelenke 10 bis 14 führen oder eine verhärtete Leber kann zu dieser Reaktion führen. Das sind nur einige Beispiele.
Wir sollten uns immer vor Augen halten: Diese Pferde zeigen kein gestörtes Verhalten, sondern haben Schmerzen oder zumindest Unbehagen. Die Art des Gurtes ist in der Regel nicht ursächlich für das Verhalten.
Was kann ich tun?
Es ist immer hilfreich, einen erfahrenen Fachmann zu Rate zu ziehen, der sich intensiv mit dieser Problematik beschäftigt. Ein Spezialist oder Experte auf diesem Gebiet, der mit Tierärzten zusammenarbeitet oder selbst Tierarzt ist und sich mit bildgebenden Verfahren auskennt, kann helfen, entsprechende Vermutungen darzustellen und sichtbar zu machen.
Folgende Fragen sollte der Pferdebesitzer im Vorfeld klären bzw. dem Fachmann beantworten können:
- Seit wann zeigt das Pferd das Verhalten?
- Welches Ereignis hat möglicherweise vorher stattgefunden (Sattelkauf, Sturz, Weideunfall, etc.)?
- Falls eine Reitpause eingelegt wurde, wie lange dauerte sie und wurde das Verhalten dann besser?
- Passt der Sattel? Hier kann ein Fachmann befragt werden oder ein Schwitzbild geritten werden. Zeigen sich neben der weitgehend trockenen Wirbelsäule weitere trockene Stellen in der Sattellage nach einem ausgiebigen Ausreiten, kann man davon ausgehen, dass die Abwehrhaltung vom drückenden Sattel kommt.
- Zeigt das Pferd außerhalb der Besattelung weiteres auffälliges Verhalten? Zum Beispiel kann Leerkauen und Gähnen auf ein Magengeschwür hinweisen, während gereiztes und zickiges Verhalten auf ein Leberproblem oder ein gynäkologisches Problem bei Stuten hindeuten kann. In solchen Fällen können Blockaden das Zwerchfell beeinflussen und Schmerzen im Bereich der Rippengelenke beim Gurten verursachen.
Akut oder chronisch?
Akute Probleme treten plötzlich von einem Tag auf den anderen auf und äußern sich vergleichsweise heftig. Wenn nichts unternommen wird, verschwindet das Problem meist innerhalb eines halben Jahres oder wird zumindest deutlich besser. Viele Pferdebesitzer glauben, dass ihr “Training” zu dieser Verbesserung geführt hat, weil sie Leckerchen oder andere Methoden verwendet haben, um das Verhalten in den Griff zu bekommen. Studien haben jedoch ergeben, dass die Pferde ohne diese Methoden und mit einer weitgehend unauffälligen Nutzung unter dem Sattel wesentlich schneller zu einem normalen Verhalten finden.
Pferde, die bereits Gurtzwang zeigen, leiden in der Regel nicht nur unter einer kurzfristigen Blockade. Oft haben Pferde mit deutlichem Gurtzwang alte Schäden im Bereich der Weichteile und/oder mechanisch gereizte Nerven der Vorhand, einschließlich Brustkorb und/oder unterer Halswirbelsäule. Bevor man also osteopathisch oder physiotherapeutisch tätig wird, sollte man zunächst abklären, welcher Schaden vorliegt. Ein Osteopath kann oft helfen, aber manchmal ist auch ein Physiotherapeut oder Chiropraktiker der bessere Ansprechpartner. Eine genaue Diagnose ist immer wichtig.
Wichtig bei allen Arten von Gurtzwang: Unterstellen Sie Ihrem Pferd nicht, ein schauspielernder Diva oder ein theatralischer Prinz zu sein. Nehmen Sie das Verhalten ernst und suchen Sie nach der Ursache. Ihr Pferd verdient es!
Text und Foto: Biggi Küpper