Der Tod der eigenen Eltern ist eine schmerzhafte Erfahrung, die uns als erwachsene Kinder oft mehr trifft, als wir es uns vorstellen können. Mit dem Verlust unserer Eltern begraben wir nicht nur sie, sondern auch unsere eigene Kindheit. Wir trauern nicht nur um sie, sondern auch um all die Erinnerungen, die wir mit ihnen geteilt haben und die nun niemand mehr in dieser besonderen Weise teilen kann. Diese Erinnerungen existieren nur noch in uns selbst.
Der Tod der Eltern zerreißt einen – in jedem Alter
Als Erwachsene glauben wir oft fälschlicherweise, dass der Tod unserer Eltern ein trauriges, aber nicht überwältigendes Ereignis wäre. Doch meist ist es anders. In unserer Gesellschaft wird das Thema Trauer oft verdrängt, sodass wir kaum wissen, wie stark der Schmerz nach dem Tod der Eltern tatsächlich sein kann und wie sehr er uns in unserem Selbstbild infrage stellen kann.
Der Tod unserer Eltern verändert die Generationenfolge. Nachdem unsere Großeltern und nun unsere Eltern gegangen sind, sind wir die Nächsten in der Reihe. Uns wird bewusst, dass unser eigenes Ende näher rückt und dass unsere Vorstellung von Unsterblichkeit falsch ist.
Wir erkennen auch, wie sehr wir als Erwachsene immer noch an unsere Eltern gebunden sind. Viele empfinden die Einsamkeit und emotionale Nacktheit, die die Dichterin Else Lasker-Schüler in ihrem Gedicht beschreibt. Selbst wenn wir in funktionierenden Partnerschaften leben und möglicherweise selbst Eltern sind, fühlen wir uns plötzlich völlig allein. Es ist, als ob unsere “eigentliche” Familie gestorben wäre.
Über den Tod der Eltern hinwegkommen braucht Zeit
Nach dem Tod ihrer Eltern beschäftigen sich erwachsene Kinder oft noch lange Zeit mit ihnen. Manche tun dies still und nur in Gedanken, andere sprechen mit anderen darüber. Sie erzählen immer wieder von ihren Müttern und Vätern und lassen Anekdoten aus der Vergangenheit wieder aufleben.
Viele ziehen sich eine Weile zurück, um den Tod zu begreifen, um eine innere Verbindung zu ihren Eltern herzustellen und um ihre Trauer zu verarbeiten. Einige tragen Schmuckstücke oder Gegenstände ihrer Eltern bei sich oder übernehmen deren Eigenheiten, Ziele oder Hobbys, um sich ihnen nahe zu fühlen.
Niemand ist perfekt, auch die eigenen Eltern nicht
Neben Einsamkeit können auch Wut und Hass gegenüber den eigenen Eltern wieder hochkommen. Denn es gibt keine perfekten Eltern, nur menschliche. Manche machen schreckliche Fehler. Doch in unserer Gesellschaft ist es oft tabu, Wut und Hass gegenüber den eigenen Eltern zuzugeben.
Manche idealisieren umgekehrt ihre Eltern, um die (emotionale) Trennung von ihnen zu vermeiden. Dies kann die eigene Wahrnehmung der Realität einschränken und unflexibel machen. Es ist wichtig anzuerkennen, dass unsere Eltern zwar nicht perfekt waren, aber trotzdem liebenswert.
Erleichterung über den Tod der Eltern
Es ist ein Tabu, sich einzugestehen, dass man auch Erleichterung über den Tod der Eltern empfinden kann. Es gibt jedoch verschiedene Gründe, warum man erleichtert sein kann. Vielleicht haben die erwachsenen Kinder ihre Eltern lange Zeit gepflegt und dabei ihr eigenes Leben zurückgestellt. Sie haben mitangesehen, wie hilflos ihre Eltern wurden, was eine enorme psychische Belastung darstellt.
Der Tod der Eltern befreit die (pflegenden) Kinder von den immer wiederkehrenden Konflikten und nimmt ihnen die Last der Pflege. Doch dies zuzugeben, wird in unserer Gesellschaft oft als herzlos bewertet. Deshalb behalten die Hinterbliebenen diesen Aspekt häufig für sich und kämpfen mit Schuldgefühlen.
Manchmal befreit der Tod von einem diktatorischen Elternteil, der einen in (emotionaler) Abhängigkeit gehalten hat. Die erwachsenen Kinder haben nun endlich die Chance, wirklich erwachsen zu werden und ihr eigenes Leben zu beginnen.
Wenn die Trauer um die Eltern zur Belastung für die Beziehung wird
Die Trauer der Söhne und Töchter kann auch für ihre Partner belastend sein. Vor allem, wenn diese den Tod der Eltern als Erleichterung empfinden. Beziehungen können jedoch auch daran wachsen, wenn beide Seiten verständnisvoll miteinander umgehen und Anteil an den Gefühlen des Trauernden nehmen.
Die Trauer um die eigenen Eltern geht oft viel tiefer, als wir es uns vorstellen können. Die Verarbeitung des Todes der Eltern braucht daher mehr Zeit, als wir zunächst glauben. Und das ist ganz normal.