Die Aleviten sind eine religiöse Gemeinschaft, über die es viele unterschiedliche Meinungen und Ansichten gibt. In diesem Artikel möchte ich Ihnen einen Einblick in die Welt der Aleviten geben und einige grundlegende Informationen über ihren Glauben und ihre Praktiken vermitteln.
Wie lange gibt es das Alevitentum schon?
Die Ursprünge des Alevitentums sind bis heute umstritten. Einige Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass die Aleviten ursprünglich Muslime waren, die an die Nachfolge von Ali, dem Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, glaubten. Andere wiederum argumentieren, dass der alevitische Glaube älter ist als der Islam selbst.
Im 13. Jahrhundert kam der alevitische Gelehrte Hacı Bektaş Veli nach Anatolien und trug maßgeblich zur Verbreitung des alevitischen Glaubens bei. Noch heute gibt es in der Türkei die größte alevitische Gemeinde, die jedoch zunehmend unter Verfolgung und Diskriminierung leidet.
Woran glauben Aleviten?
Aleviten glauben an die Wahrheit oder das Göttliche, das in allem und jedem existiert. Sie suchen Gott nicht außerhalb von sich selbst, sondern erkennen, dass Gott in jedem Menschen vorhanden ist. Aus diesem Grund begegnen sich die Gläubigen bei Cem-Zeremonien von Angesicht zu Angesicht. Aleviten legen großen Wert auf Respekt und Achtung gegenüber allen Lebewesen, unabhängig von ihrer Religion, Ethnie oder Sexualität. Die alevitische Glaubenslehre basiert auf der Entscheidungs- und Glaubensfreiheit des Einzelnen. Daher gibt es keinen Zwang zur Missionierung.
Ein wichtiger Grundsatz im alevitischen Glauben ist “Beherrsche deine Hände. Beherrsche deine Lenden. Beherrsche deine Zunge.” Dies bedeutet, dass man nicht stehlen, keinen Schaden zufügen, nicht die Ehe brechen und nicht lügen oder jemanden verleugnen soll. Aleviten streben danach, ihr Verhalten auf diesen Grundwerten aufzubauen und ergänzen dies durch Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe, um ein friedliches Zusammenleben aller Menschen zu fördern.
Wie leben Aleviten ihren Glauben?
Aleviten leben ihren Glauben eher im Verborgenen, da ihre Spiritualität stark von innerer Ausrichtung geprägt ist. Jeder Gläubige hat die Freiheit zu beten, wie und wann er möchte. Es gibt keine festgesetzten Gebetszeiten oder Pflichtgebete. Einige Aleviten treffen sich jedoch gerne am Donnerstagabend zum gemeinsamen Gebet, auch bekannt als Muhabbet. Dabei zünden sie eine Kerze als Symbol für das göttliche Licht an und beten.
Im Alevitentum gibt es Fastenzeiten sowie Gedenk- und Feiertage, an denen Aleviten zu Andacht-Gebeten zusammenkommen. Etwa fünf bis zehn Mal im Jahr versammeln sich die Gemeindemitglieder im Cem-Haus zu ihrem Gottesdienst, dem Cem. Dabei werden Gebete und Gedichte rezitiert, Rituale durchgeführt und Fragen und Probleme der Gemeindemitglieder diskutiert, um Einvernehmen herzustellen.
Sind Aleviten Muslime?
In Deutschland ist das Alevitentum offiziell als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt. Die Selbstwahrnehmung der Gläubigen variiert jedoch. Einige betrachten sich als “wahre” Muslime, während andere das Alevitentum als eigenständige Konfession außerhalb des Islams sehen.
Folgen Aleviten muslimischen Regeln und Traditionen?
Die Praktiken der Aleviten unterscheiden sich deutlich von denjenigen des Islams. Aleviten gehen beispielsweise nicht auf die Pilgerfahrt nach Mekka, fasten nicht im Monat Ramadan und beten nicht fünfmal am Tag. In den alevitischen Gotteshäusern, den Cem-Häusern, gibt es keine Trennung zwischen Männern und Frauen – alle Gläubigen beten gemeinsam von Angesicht zu Angesicht. Der Konsum von Alkohol ist nicht verboten. Weder die Korantexte noch die Hadithe haben für Aleviten eine besondere Bedeutung.
Wie in allen Weltreligionen wird auch im Alevitentum die Tradition der Barmherzigkeit und Unterstützung der Bedürftigen gepflegt. Während des Gottesdienstes verteilen Aleviten das “Lokma”, das gesegnete Essen, auch an Arme und Bedürftige. Der Dienst am Mitmenschen wird von Aleviten als Form des “Gottesdienstes” verstanden.
Worin unterscheidet sich das Alevitentum grundlegend vom Christentum, Judentum und dem Islam?
Im Gegensatz zum Christentum, Judentum und Islam beansprucht das Alevitentum keine absolute Wahrheit für sich. Aleviten betrachten alle Religionen als gleichwertig und legen die Tora, die Bibel, den Koran und die Psalmen auf den gleichen Stellenwert. Kein Glaube wird über den anderen erhoben. Auch der Atheismus wird von Aleviten als gleichwertig zu den anderen Religionen betrachtet.
Das Alevitentum ist eine faszinierende religiöse Gemeinschaft, die ihre eigenen Traditionen und Bräuche hat. Es ist wichtig, ihre Vielfalt und ihren Reichtum zu respektieren und besser zu verstehen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 5. Januar 2019 auf evangelisch.de.