Das Great Barrier Reef, einst ein Naturwunder, ist heute an vielen Stellen nur noch ein Schatten seiner ehemaligen Pracht. Die aktuelle Analyse der Weltnaturschutzunion IUCN zeigt, dass der Zustand des Great Barrier Reefs kritisch ist und sich im Vergleich zur letzten Bestandsaufnahme verschlechtert hat. Der Hauptgrund für diese bedrohliche Lage ist der Klimawandel. Die weltweiten CO₂-Emissionen führen zu einer Versauerung der Meere und steigenden Wassertemperaturen. Besonders die Ozeanerwärmung setzt den kalkbildenden Hartkorallen, den Erbauern der Riffe, zu. Die Symbiose mit mikroalgenhaltigen Korallenbrutern bricht zusammen und die Korallen bleichen aus.
In den letzten 25 Jahren hat das Great Barrier Reef die Hälfte seiner Korallen durch mehrere Massenbleichen infolge ozeanischer Hitzewellen verloren. Zuletzt wurde Anfang 2020 auch der bis dahin verschonte südlichste Teil des Riffs von einer schweren Bleiche heimgesucht. Umweltverschmutzung, hauptsächlich durch die Landwirtschaft, und gefräßige Dornenkronenseesterne, die wie Heuschrecken über die Korallen herfallen, sind Mitverantwortliche für die massiven Verluste.
Die Erholung geschädigter Riffe ist zwar grundsätzlich möglich, doch aufgrund von häufigeren Hitzewellen, einer höheren Anfälligkeit für tropische Wirbelstürme und einem dezimierten Bestand an geschlechtsreifen Korallen können sich die Riffe kaum noch aus eigener Kraft erholen.
Um den vollständigen Kollaps des Great Barrier Reefs zu verhindern, plant die australische Regierung, die eine ambitionierte Senkung der CO₂-Emissionen ablehnt, Hunderte Millionen Dollar zu investieren. Ein erheblicher Teil dieser Mittel soll in die Verbesserung der Wasserqualität und die Kontrolle der Population von Dornenkronenseesternen fließen. Darüber hinaus sollen zerstörte Riffabschnitte wieder aufgeforstet und für den Klimawandel fit gemacht werden – mit teilweise unkonventionellen Maßnahmen.
Wissenschaftler des Australian Institute for Marine Sciences in Queensland erproben neue Techniken, um Korallenriffe großflächig zu restaurieren, sie vor Extremtemperaturen zu schützen und sie für eine wärmere Umwelt zu rüsten. Sie sammeln die Spermien und Eizellen laichender Korallen ein, um Larven in schwimmenden Kindergärten heranzuziehen und dann millionenfach im Meer freizulassen. Sie züchten robustere Arten, indem sie Arten mit ausgewählten Merkmalen kreuzen, und trainieren Korallen und ihre einzellige Algen-Untermieter im Labor auf Hitzestress und saureres Wasser. Zudem entwickeln sie Nebelmaschinen, die dem Great Barrier Reef Schatten spenden sollen.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen nicht nur den heimischen Korallen helfen, sondern auch als Blaupause für den weltweiten Wiederaufbau von durch Massenbleichen verwüsteten Riffen dienen. Einige der Maßnahmen werden bereits erprobt, andere stehen noch am Anfang.
Besonders vielversprechend sind Feldversuche zur Riffrestaurierung des Meeresökologen Peter Harrison. Er und seine Kollegen lauern den Korallen beim synchronisierten Sex im Schutz der Dunkelheit auf, um Spermien und Eizellen abzufischen. Dadurch sollen die Überlebenschancen der Korallenlarven erhöht werden, um die Zukunft des Riffs zu sichern.
Allerdings ist es unmöglich, alle zerstörten Abschnitte des Great Barrier Reefs wiederherzustellen. Daher konzentriert man sich auf Riffe, die andere Riffe über die Strömung mit Nachwuchs versorgen. Die größte Herausforderung liegt darin, Hunderte Millionen Larven zu produzieren und weitläufig zu verteilen.
Traditionelle Ansätze wie die mühsame Riffsanierung mit Korallensetzlingen werden das globale Riffsterben laut einer Studie aus den USA und Australien im Fachmagazin “Nature Ecology and Evolution” nicht aufhalten können. Auch eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 bis zwei Grad, von der die Staatengemeinschaft derzeit weit entfernt ist, würde bedeuten, dass den meisten Korallen in naher Zukunft zu heiß wird. Das Tempo des Klimawandels übersteigt ihre natürliche Anpassungsfähigkeit.
Um Korallen über das 21. Jahrhundert hinaus in den tropischen Meeren zu erhalten, sind daher radikalere Maßnahmen erforderlich. Die Wissenschaft muss den Korallen helfen, sich an den Klimawandel anzupassen, und die Ausbreitung vorteilhafter Gene beschleunigen – Evolution im Zeitraffer.
Das Australian Institute for Marine Sciences kreuzt Korallen aus dem heißen Norden mit solchen, die weiter südlich leben. Dadurch entstehen Hybride, die sowohl Hitze als auch kühlere Wassertemperaturen vertragen und das zentrale und südliche Great Barrier Reef widerstandsfähiger gegen die Ozeanerwärmung machen sollen. Verlässt man sich allein auf natürliche Selektion, würden viele Generationen vergehen, bis sich die genetisch verankerte Hitzetoleranz der nördlichen Korallen in anderen Riffregionen ausbreitet. Doch die Zeit für dieses Naturwunder wird knapp.
Ein weiteres Projekt beinhaltet das Heranziehen von Korallen und den die Gewebe der Korallen besiedelnden einzelligen Algen unter Bedingungen, die sie gerade noch tolerieren können. Durch erhöhte Temperaturen und CO₂-reicheres Meerwasser sollen sie abgehärtet werden. Wenn sich diese Anpassungen im Erbgut niederschlagen, werden die Nachkommen weniger anfällig für Korallenbleichen oder ein poröses Kalkskelett sein.
Es ist klar, dass solch aufwendige und kostspielige Methoden bestenfalls geeignet sind, Schlüsselarten und Riffstandorte von besonders hohem biologischem Wert zu retten. Darüber hinaus könnten sie das empfindliche Gefüge von Korallenriffen stören und neue Probleme wie eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten verursachen.
Ein weiterer Ansatz zur Rettung des Great Barrier Reefs ist die Erzeugung künstlicher Wolken. Daniel Harrison von der Southern Cross University forscht an einer Methode, um Meerwasser in Kondensationskeime für Wolkentröpfchen zu verwandeln, die einen Teil der Sonnenstrahlung reflektieren. Letztes Jahr hat er vor der australischen Küste eine maschinengroße Vorrichtung getestet, die Meerwasser in die Atmosphäre sprüht. Das verdampfende Wasser hinterlässt winzige Salzkristalle, die zum Wachstum der Wolken beitragen. Durch solche Wolkenaufhellung könnte die Meeresoberfläche über mehrere Wochen abgekühlt werden, wenn eine Hitzewelle auftritt und eine Korallenbleiche droht. Es gibt jedoch noch viele offene Fragen, wie zum Beispiel die Deckung des enormen Energiebedarfs bei einem großangelegten Einsatz dieser Technik und ob dies Einfluss auf die Niederschläge über dem Meer oder an Land hätte.
Trotzdem ist Harrison optimistisch und hofft, dass diese Technik dazu beitragen kann, die Korallen zu erhalten, damit sie ausreichend Zeit haben, sich an die neuen Umweltbedingungen anzupassen, wenn die Menschheit ihre Treibhausgase nicht mehr unkontrolliert ausstößt.
In jedem Fall ist noch viel Forschungsarbeit erforderlich, bevor diese Maßnahmen in großem Maßstab eingesetzt werden können. Das Schicksal des Great Barrier Reefs hängt vor allem von einem massiven Rückgang der globalen CO₂-Emissionen ab. Bisher ist ein solcher Rückgang jedoch nicht in Sicht.