Die Frage nach der Geburt Jesu beschäftigt Christen auf der ganzen Welt. Während in den USA fast drei Viertel der Bevölkerung an die Jungfrauengeburt glauben, ist die Meinung in Deutschland differenzierter. Wir haben sieben nachdenkliche Zeitgenossen befragt und erhalten sieben verschiedene Antworten. Lassen Sie uns einen Blick auf ihre Standpunkte werfen:
Rainer Maria Woelki
Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Berlin und Kardinal, stellt klar, dass die Jungfrauengeburt im christlichen Glauben eine zentrale Rolle spielt. Sie ist Teil des Glaubensbekenntnisses und steht für die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Die Jungfrauengeburt ist eng mit dem viel größeren Geheimnis der Inkarnation verbunden. Durch Jesus Christus setzt Gott einen neuen, unvergleichlichen Anfang in der Geschichte für alle Menschen. Die Jungfrauengeburt ist daher nicht losgelöst von diesem größeren Zusammenhang zu verstehen.
Robert Spaemann
Robert Spaemann, Philosoph, betont die Unterscheidung zwischen der Jungfrauengeburt und der unbefleckten Empfängnis. Während die Jungfrauengeburt auf ein Wunder hindeutet und besagt, dass Maria ohne Zutun eines Mannes ihren Sohn empfangen hat, bezieht sich die unbefleckte Empfängnis auf die Befreiung Marias von der Erbsünde. Diese Lehre ist unter Katholiken verbreitet, aber nicht unumstritten. Spaemann weist darauf hin, dass der Glaube an diese Dogmen nicht zwingend ist und verschiedene Interpretationen zulässt.
Wolfgang Huber
Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, betont, dass es an Weihnachten nicht primär um die unbefleckte Empfängnis oder die Jungfrauengeburt geht, sondern um die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Die Bezeichnung “Jungfrau” im Alten Testament ist in der ursprünglichen Sprache eher als “junge Frau” zu verstehen. Huber plädiert dafür, die Jungfrauengeburt im Zusammenhang mit der Botschaft von Weihnachten zu sehen: Gott wird Mensch und kommt uns Menschen nahe.
Josef H. Reichholf
Josef H. Reichholf, Zoologe und Evolutionsbiologe, sieht die Jungfrauengeburt kritisch aus biologischer Sicht. Bei einigen Tierarten gibt es zwar die Möglichkeit der Jungfernzeugung, beim Menschen ist dies jedoch höchst umstritten und extrem selten. Reichholf stellt die Frage, warum die Naturgesetze ausgerechnet bei der Geburt Jesu außer Kraft gesetzt worden sein sollen. Er zweifelt daher an der Notwendigkeit der Jungfrauengeburt und der Lehre von der unbefleckten Empfängnis.
Uta Ranke-Heinemann
Uta Ranke-Heinemann, ehemalige Professorin für katholische Theologie, erläutert die Unterscheidung zwischen der unbefleckten Empfängnis und der Jungfrauengeburt. Während die unbefleckte Empfängnis auf den Eheverkehr von Marias Eltern zurückgeht, bezieht sich die Jungfrauengeburt auf Maria als Mutter Jesu. Ranke-Heinemann betont, dass sie persönlich Schwierigkeiten hat, an die Jungfrauengeburt zu glauben. Papst Benedikt XVI. äußerte in seinem Buch “Jesus von Nazareth” die These, dass Maria “durch ihr Ohr” schwanger wurde. Dies verdeutlicht für Ranke-Heinemann, wie der Zölibat und die männliche Priesterkaste das Verständnis der Jungfrauengeburt beeinflussen.
Wolfgang Schmidbauer
Wolfgang Schmidbauer, Psychoanalytiker und Paartherapeut, betrachtet die unbefleckte Empfängnis als allgemeines Konzept. In seiner Sichtweise sind alle Mütter, die ein Kind empfangen, rein und Teil eines guten Anfangs. Er kritisiert die Lehre von der Erbsünde als manipulatives Konzept der Priesterkaste, um die Gläubigen zur Buße, Ablass und Erlösung zu bewegen. Die jungfräuliche Geburt sieht er eher symbolisch und betont die Bedeutung der Entscheidungsfreiheit der Frauen in Bezug auf Schwangerschaft und Erzeuger.
Susanne Gaschke
Susanne Gaschke, Journalistin und ehemalige Oberbürgermeisterin von Kiel, betrachtet die Frage nach der Jungfrauengeburt aus verschiedenen Perspektiven. Sie hinterfragt, warum Gott das Leid in der Welt duldet und warum er die Menschen mit der Möglichkeit zum Bösen geschaffen hat. Die christliche Mythologie der Jungfrauengeburt erscheint ihr als menschliche Sehnsucht nach Wundern. Gaschke betont, dass sie selbst nicht an Wunder glaubt, aber den Wunsch nach klaren Ergebnissen und einem guten Anfang nachvollziehen kann.
Abschließend wird deutlich, dass die Frage nach der Geburt Jesu vielfältige Meinungen und Interpretationen hervorruft. Jeder der sieben Zeitgenossen hat einen individuellen Blickwinkel auf das Thema. Es bleibt eine Frage des persönlichen Glaubens und der individuellen Interpretation der biblischen Texte.