Wie neutral muss der deutsche Staat sein?

Wie neutral muss der deutsche Staat sein?

Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich entschieden, dass ein generelles Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Richter aus Karlsruhe argumentierten, dass ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild im Widerspruch zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie dem Diskriminierungsverbot steht. Kritiker sehen darin jedoch eine Verletzung des religiösen Neutralitätsgebots des Staates. Doch wie neutral muss der deutsche Staat eigentlich sein?

Deutschland und die Religionsfreiheit

Anders als in laizistischen Ländern wie Frankreich und der Türkei gibt es in Deutschland keine rechtlich verankerte Trennung von Staat und Religion. Das Grundgesetz garantiert lediglich die Religionsfreiheit und das Neutralitätsgebot. Der Staat gewährt seinen Bürgern individuelle Religionsfreiheit und sollte neutral gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen sein. Es sollte keine Benachteiligung oder Bevorzugung einer Religion geben.

Was bedeutet “Deutschland ist säkular”?

Die religiöse und weltanschauliche Neutralität in Deutschland bedeutet nicht, dass religiöse Symbole verbannt werden müssen. Vielmehr soll der Staat eine Haltung fördern, die die Religionsfreiheit aller Bekenntnisse gleichermaßen respektiert. Der Begriff des Säkularismus beinhaltet eine gewisse Offenheit für Verhandlungsprozesse. In laizistischen Staaten wie Frankreich werden religiöse Symbole aus öffentlichen Einrichtungen entfernt, doch weltweit gibt es nur wenige solcher Länder.

Unterschiedliche Regelungen in Deutschland

In Deutschland sind Neutralitätsgesetze für öffentliche Amtsträger nur in Bremen und Berlin vorhanden. Während in Berlin bereits seit 2005 religiöse Symbole wie Kopftuch, Kruzifix oder Kippa verboten sind, gibt es in sechs anderen Bundesländern ein Kopftuchverbot, aber gleichzeitig eine ausdrückliche Zulassung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte. In den restlichen acht Ländern gibt es keine entsprechenden Regelungen. Dabei wird oft kritisiert, dass der Staat einerseits neutral sein sollte, andererseits jedoch die christliche Religion bevorzugt.

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Mehr Laizität für mehr Gerechtigkeit?

Einige Experten befürworten eine stärkere Laizität in Deutschland, um der wachsenden religiösen und weltanschaulichen Vielfalt gerecht zu werden. Allerdings birgt der Laizismus auch das Risiko, bestimmte Religionen ungleich zu behandeln. So wird er in Frankreich dem Katholizismus gegenüber großzügiger ausgelegt als dem Islam. Daher ist eine pauschale Aussage darüber, ob mehr Laizität zu mehr religiöser Gleichberechtigung führt, nicht möglich.

Insgesamt ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu religiöser Vielfalt und Gleichberechtigung an Schulen. Allerdings besteht noch weiterer Handlungsbedarf, um tatsächliche religiöse Neutralität in Deutschland zu erreichen.

Original article written by Rana Göroğlu