Gott zu visualisieren, scheint eine faszinierende Frage zu sein, die bereits Kinder beschäftigt. Meistens malen sie eine menschliche Gestalt, oft einen Mann, manchmal auch eine Frau mit freundlichem Blick. Diese Vorstellung zeigt Gott allerdings nicht auf Augenhöhe, sondern eher von oben herab, auf einer Wolke sitzend oder von oben schauend. Laut kindlicher Vorstellung ist Gott zugleich nah und hat einen vollständigen Überblick.
Wenn der Mensch laut der Bibel ein Abbild Gottes ist, dann wäre es naheliegend, Gott als menschenähnlich vorzustellen. In diesem Fall könnten die Kinder also gar nicht so falsch liegen. Allerdings ist es eher umgekehrt, wie im 1. Buch Mose steht: “Gott schuf den Menschen zu seinem Bild, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.” (1. Mose 1,27). Die biblische Geschichte vom Paradies erzählt, wie Gott durch den Garten geht. Er ist jedenfalls so nah, dass ihm nichts entgeht. Er spricht sogar direkt mit Eva. Sie hört Gott, kann ihn aber nicht sehen.
Wenn Gott den Menschen nach seinem Bilde erschaffen hat, dann hatte Gott eine bildliche Vorstellung von seinen Geschöpfen. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass Gott selbst wie ein Mensch aussieht. Menschen haben unterschiedliche Erscheinungsformen, Hautfarben, verschiedene persönliche Merkmale und zwei klar unterschiedene Geschlechter. Aber Gott ist weder weiß noch farbig, weder groß noch klein, dick oder dünn und er ist auch kein Mann und keine Frau. Diese Merkmale hat Gott den Menschen gegeben. Das sagt jedoch nichts über sein eigenes Aussehen aus.
Menschen verleihen Gott menschliche Eigenschaften. Menschen, die über ihre Erfahrungen mit Gott berichten, verleihen ihm sogar Augen und Ohren. “Die Augen des Herrn wachen über die Gerechten, seine Ohren hören auf ihr Schreien” (Psalm 34,16). Er hat Flügel, die Menschen beschützen: “Er wird dich mit seinen Flügeln bedecken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Schwingen” (Psalm 91,4). Auch hat er einen starken Arm (Jesaja 52,10), geht in der Schlacht voran und wohnt an einem heiligen Ort. Früher war das der Berg Sinai, wo Mose die Gebote erhielt, später der Tempel auf dem Zionsberg in Jerusalem, wo die Gebote in der Bundeslade aufbewahrt wurden. Zahlreiche Psalmen berichten von der Sehnsucht nach dem Berg Zion und der Nähe Gottes.
Wer jedoch Gott wirklich sieht, muss sterben. Es gibt das Gebot, sich kein Bild von Gott zu machen: “Du sollst dir kein Bildnis machen und keine Darstellung von irgendetwas, was oben im Himmel, unten auf der Erde oder im Wasser unter der Erde ist” (2. Mose 20,4). Neben dem kindlichen Wunsch, Gott vorzustellen, besteht auch die Warnung davor, ihn menschlich darzustellen und somit verfügbar zu machen. Der Schöpfer der Welt steht der Welt gegenüber. Er existierte schon vor der Welt und ist kein Teil seiner Schöpfung. Gott bleibt verborgen. Das Antlitz Gottes darf man nicht direkt sehen. Als Mose Gott im brennenden Dornbusch begegnete, fürchtete er sich davor, Gott anzuschauen (2. Mose 3,6). Später “redete Gott mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Freund mit seinem Freund spricht” (2. Mose 33,11). Doch als Mose die herrliche Gegenwart Gottes suchen wollte, wies dieser ihn zurecht: “Kein Mensch kann mich sehen und weiterleben” (2. Mose 33,20).