Wissen ist Macht – eine gängige Redewendung, die jedoch eine wichtige Frage aufwirft: Kann die Kluft zwischen Forschenden und Beforschten durchbrochen werden? In der globalen Wissensproduktion werden alternative Deutungen bewusst ausgeblendet und Forschungsergebnisse als objektives Wissen präsentiert. Doch wer spricht wirklich, wenn westliche WissenschaftlerInnen in die Feldforschung aufbrechen, um die Welt für uns verständlicher zu machen?
Die Herausforderungen der Feldforschung
Die Feldforschung bedeutet, sich in unbekannte Situationen zu begeben, Interviews durchzuführen, zu transkribieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Output dieser Forschung ist oft beeindruckend. Am Ende steht eine Publikation, die das Ansehen der FeldforscherInnen steigern soll. Doch was passiert während des selektiven Prozesses der Wissensproduktion? Was bleibt ungesagt?
Besonders in den Sozialwissenschaften ist es wichtig zu hinterfragen, ob sich die Forschung nicht in einem Kreislauf bewegt. Wir befinden uns in einem Spannungsfeld zwischen einer elitären westlichen Intelligenzija und einem Verständnis von Wissenschaft als immer subjektives Machtverhältnis. Der vorherrschende wissenschaftliche Duktus strebt ausschließlich nach objektiven Ergebnissen.
Die Rolle der Grounded Theory Methodologie
Die konstruktivistisch inspirierte Grounded Theory kann dazu beitragen, neokoloniale Verhältnisse in der Sozialforschung aufzubrechen. Die Grounded Theory ist eine induktive Methode, die davon ausgeht, dass Theorien in den Daten selbst begraben liegen und nicht aus bestehenden Theoriegebäuden abgeleitet werden müssen.
Diese Methode versucht, die ForscherInnen aktiv in den Erkenntnisprozess einzubinden und betont die persönliche Perspektive, anstatt sie auszublenden. Dabei ist zu beachten, dass Grounded Theory keine Allheilmethode ist. Viele ForscherInnen nutzen diese Methode, um am Ende wieder in die Normativität zurückzufallen. Dennoch ermöglicht die Grounded Theory eine reflektierte Haltung gegenüber dem Forschungsprozess.
Ein reflektierter Blick auf die Sozialforschung
Im 21. Jahrhundert sollten SozialwissenschaftlerInnen Erkenntnisse über die großen Theorien hinaus erschaffen. Dafür müssen sie von ihrem hohen Ross herabsteigen. Wir sollten uns als Interpretatoren sozialer Wirklichkeiten wahrnehmen und weniger als Hüter einer schwer zugänglichen, absoluten Wahrheit. Auch wenn dies bedeutet, in keinem Einführungswerk erwähnt zu werden.
Lassen Sie sich inspirieren und begeben Sie sich in ein gleichwertiges Verhältnis zur Welt, die Sie erforschen. Eine zeitgemäße qualitative Sozialforschung ist nicht nur reflektiert, sondern gesteht auch die Unfassbarkeit ihrer Disziplin und ihr Unwissen ein.
Quelle: Shabka Background Nr. 5-2013, Paul Winter: Grounded Theory – Mehrwert im globalen Forschungssetting?