“Wo die wilden Kerle wohnen” : Der Maxismus lebt!

“Wo die wilden Kerle wohnen” : Der Maxismus lebt!

Unser Kulturerbe ist reich an beliebten Kinderbuchklassikern, die Generationen von Lesern begeistert haben. Eines dieser Bücher ist Maurice Sendaks “Where The Wild Things Are”, das mit seinen zehn Sätzen und zwanzig Bildern im Jahr 1963 die Herzen der Kinder eroberte. Sogar der ehemalige US-Präsident Barack Obama las dieses Büchlein in einer Osterveranstaltung im Weißen Haus vor.

Maurice Sendak, ein fantastischer Zeichner polnisch-jüdischer Abstammung, hat weltweit Anerkennung für sein Werk erhalten. Die deutsche Ausgabe des Buches von 1967 verkaufte sich fast eine Million Mal und hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Geschichte erzählt von Max, einem kleinen Jungen, der in Unfug treibt und von seiner Mutter ohne Essen ins Bett geschickt wird.

In seinem Traum segelt Max über das Meer zu den wilden Kerlen, monströsen Kreaturen, die fein schraffiert sind. Gemeinsam machen sie Krach und tanzen durch den Wald. Diese Szene wird als eine der wichtigsten des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

Kann man aus so wenigen Sätzen einen 90-minütigen Film machen? Ja, man kann! Im Film findet Max in den wilden Kerlen eine neue Familie, eine Familie der Albträume und Sehnsüchte. Mit ihnen erlebt er all das, was ihm zu Hause fehlt. Die Biester sind zwar älter, aber pelzig und warmherzig. Sie können zänkisch, gewalttätig oder melancholisch sein. Für eine Weile lassen sie sich von Max kommandieren und zeigen ihm ihre Kunststücke. Doch dann verführt Max sie zu bösen Taten, bis sie ihn satt haben und entzaubern. Max ist nur ein gewöhnlicher kleiner Junge.

Am Ende kehrt Max nach Hause zurück, wo seine Mutter ihn wortlos, aber liebevoll mit Suppe und Schokoladentorte erwartet – genau wie im Buch. Der Film betont jedoch auch die Verbindung zwischen Mutter und Sohn und lässt Raum für eine neue Entwicklung ihrer Geschichte.

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Maurice Sendak wurde oft als “Picasso des Kinderbuchs” bezeichnet und hat in den 1970er Jahren auch die Märchen der Brüder Grimm auf meisterhafte Weise illustriert. Er wurde von der deutschen Romantik und der Nachtseite des Lebens inspiriert. Die wilden Kerle tanzen bei Vollmond in der Nacht und auch in Sendaks weiterem unheimlichen Buch “In der Nachtküche”. Er gestaltete auch Bühnenbilder und Kostüme für Opern wie Mozarts “Zauberflöte” und Humperdincks “Hänsel und Gretel”. Er stimmte einer Opernfassung der wilden Kerle zu und schließlich auch der Verfilmung. Dabei war ihm wichtig, dass der Film keine traditionelle Märchenfilmware aus dem Hause Disney oder Trickfilmkunst aus den Pixar Studios wurde.

Der Film “Wo die wilden Kerle wohnen” zeigt lebende Schauspieler in Kostümen, die den Charakteren des Buches ähneln. Ihre Mimik und Stimme verleihen ihnen eine erstaunlich menschliche Qualität. Regisseur Spike Jonze, bekannt für seine Musikvideos und die “Jackass”-Serie mit Skateboardern, die verrückte Mutproben absolvieren, war ein perfekter Partner für dieses Projekt. Der Film bietet jedoch eine andere Perspektive als das Buch, indem er Probleme und Konflikte für Jung und Alt anspricht. Der kleine Max ist weder mit Superman verwandt noch sind die Kerle Zauberer wie in Harry Potter. Trotz ihrer Größe und Stärke wirken auch die wilden Kerle selbst sehr bedürftig. Es gibt eine Erklärung dafür.

In einem Interview zum 80. Geburtstag erklärte Sendak, dass das Buch ursprünglich den Titel “Wo die wilden Pferde wohnen” tragen sollte. Weil er angeblich keine Pferde malen konnte, suchte die Lektorin nach anderen Protagonisten. Was Sendak gezeichnet hatte, waren Monster mit spitzen Zähnen und scharfen Krallen – Karikaturen von großen Verwandten, die er als kleiner Junge als riesig und bedrängend empfand. Jetzt mussten sie nach seiner Pfeife tanzen!

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Eine Besonderheit bei der Übersetzung des Buches ins Deutsche war, dass die Sprachphilosophie hinter dem Originaltitel “Where The Wild Things Are” nicht berücksichtigt wurde. Der Anglist Tarcisius Schelbert schlug vor, es eher “Wo die wilden Wesen wohnen” zu nennen, um die abgründige Verlassenheit von Max abstrakter zu benennen. Sendak selbst betonte jedoch, dass es ein Familienbuch ist und sich um skurrile Verwandtschaft dreht.

Das Buch “Wo die wilden Kerle wohnen” wurde damals kontrovers diskutiert. Die witzige, seltsam düstere, aber warmherzige Botschaft, die technische Brillanz, die Farbgebung und die prägnante Geschichte waren Anlass für viele Diskussionen. Einige fanden es beängstigend, während andere den starken Max nachahmen wollten. Schon in den 60er Jahren war ein ungezogenes Kind in Amerika kein Thema für ein Kinderbuch, geschweige denn eine Mutter, die ihr Kind ohne Essen ins Bett schickt. Als der amerikanische Psychoanalytiker Bruno Bettelheim 1977 seinen Bestseller “Kinder brauchen Märchen” veröffentlichte, hatten die wilden Kerle das längst bestätigt. Sendak selbst kümmert(e) sich jedoch nicht um Pädagogik. Er nahm den kindlichen Wahrheitssinn ernst und betonte das Gespür für Bosheit und Gewalt, ganz im Sinne von Wilhelm Busch.

Damals waren sich jedoch alle einig: Ein Erwachsener sollte das Buch gemeinsam mit den Kindern lesen, um ihre Ängste aufzufangen und den letzten Satz, den mit dem warmen Essen auf dem Nachttisch, mit der richtigen Pause und Zärtlichkeit vorzutragen. Jetzt können Eltern, die selbst mit dem Buch aufgewachsen sind, mit ihren eigenen Kindern ins Kino gehen.

Die Geschichte von Max ist ein Entwicklungsroman. Der Held sucht Abenteuer, erlebt Todesangst und siegesgewisses Glück. Schließlich kehrt er in die bürgerliche Welt zurück. Jonathan Swift nutzte das Genre in “Gullivers Reisen” (1726) sogar satirisch. Beispielsweise besucht der Protagonist die weisen Pferde, die den Menschen unendlich überlegen sind. Hätte Sendak also beim ursprünglichen Titel “Wo die wilden Pferde wohnen” bleiben sollen? Nein, denn die wilden Kerle sind nicht vollkommen. Es gibt keine Achse des Guten, außer der elterlichen Liebe.

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Ab Donnerstag wird der Film in 19 Berliner Kinos zu sehen sein.