Woran scheitern Ehen? Einblicke aus der Praxis eines Paartherapeuten

Woran scheitern Ehen? Einblicke aus der Praxis eines Paartherapeuten

Ehen können aus unterschiedlichen Gründen scheitern. Als erfahrener Paartherapeut habe ich festgestellt, dass es trotz der verschiedenen Lebenssituationen ähnliche Grundmuster gibt. Menschen haben zwei grundlegende Bedürfnisse: das Bedürfnis nach Bindung und das Bedürfnis nach Autonomie.

In einer Partnerschaft streben wir nach einer sicheren Bindung zum anderen und gleichzeitig möchten wir unsere Autonomie bewahren. Kompromisse sind daher unerlässlich. Wenn ein Partner mehr Wert auf Autonomie legt, muss er trotzdem auf Bindung achten. Wenn der andere Partner mehr auf Bindung fokussiert ist, sollte er Freiräume schaffen und gleichzeitig seine eigenen Interessen entwickeln. Das Gleichgewicht zwischen Bindung und Autonomie ist dynamisch und kann sich je nach Lebenssituation und -phase ändern. Eine ungesunde Überbetonung einer Seite kann zu gefährlicher Polarisierung führen.

Ehen, in denen beide Partner nur auf die Bindung fokussiert sind, führen oft zu Langeweile, da die individuelle Welt eines Partners fehlt. Es ist wichtig, eine Balance zwischen Bindung und Autonomie zu finden.

In meiner langjährigen Tätigkeit als Paartherapeut habe ich festgestellt, dass sich die typischen Probleme verändert haben. Früher lag der Fokus oft auf dem Zusammenhalt der Familie und dem Wohlergehen der Kinder. Heutzutage steht die persönliche Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau im Vordergrund. Wenn diese Beziehung ins Wanken gerät, ist die Existenz der Familie gefährdet, unabhängig von finanziellen Schwierigkeiten oder der Anwesenheit von Kindern. Die Bedeutung der Liebe in einer Beziehung hat erheblich zugenommen.

Allerdings kann die übermäßige Fokussierung auf die Liebe zu einer “Ersatzreligion” werden, bei der Menschen das absolute Glück von ihrer Partnerschaft erwarten. Dies stellt jedoch eine Überforderung dar, da eine Ehe immer auch Kompromisse erfordert. Um eine glückliche Beziehung zu führen, ist es wichtig, dass man mit seinem Leben zufrieden ist und nicht erwartet, dass das Glück allein in der Beziehung zu finden ist. Es wird immer Zeiten geben, in denen es ausreicht, gut miteinander auszukommen und gelegentlich schöne Momente zu erleben.

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Die Stabilität einer Ehe lässt sich anhand bestimmter Faktoren feststellen, darunter anfängliche Verliebtheit, Übereinstimmung, Eigenständigkeit, ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen, Empathiefähigkeit, partnerschaftliches Verhandeln, gute Kooperation sowie gemeinsame Projekte, Werte und Ziele.

Es stellt sich die Frage, ob Ehen mit christlichem Glauben eine bessere Chance haben, da die Bereitschaft zum Verzeihen eine zentrale Rolle spielt. Statistisch gesehen werden kirchlich geschlossene Ehen seltener geschieden. Eine kirchliche Eheschließung beinhaltet eine besondere Verbindlichkeit, die auf dem Gebot der Unauflöslichkeit basiert. Der Glaube kann auch eine wichtige Verbindung für christlich geprägte Partner schaffen, wenn sie gemeinsam beten, meditieren oder Gottesdienste besuchen. Das Thema Schuld spielt in jeder Beziehung eine wichtige Rolle, und das Verzeihen ist ein wesentlicher Bestandteil der Paartherapie.

Das Verzeihen erfordert Verständnis für die Handlungen des jeweils anderen, die als verletzend empfunden werden. Verzeihen ist eine Entscheidung, die nur derjenige treffen kann, der verletzt wurde. Der andere kann um Verzeihung bitten und sein Bedauern zum Ausdruck bringen. Es ist ein langer und mühsamer Prozess, der oft wechselseitig ist. Ein Versöhnungsritual kann helfen, den Prozess abzuschließen.

Auch wenn jede Ehe einzigartig ist und individuelle Herausforderungen mit sich bringt, können diese Einblicke und Empfehlungen dazu beitragen, eine stabile und erfüllende Partnerschaft aufzubauen.

Dieses Interview wurde mit Herrn Dr. Jellouschek geführt und von Bertram Salzmann aufgezeichnet.

Zum Weiterlesen

Hans Jellouschek: Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe. Beziehungskrisen sind Entwicklungschancen. Freiburg, 10. Aufl., 2014.