Mit dem Wintersemester 2022/23 hat die Anzahl der Studierenden an deutschen Hochschulen einen neuen Höchststand erreicht. Interessanterweise gibt es jedoch eine Gruppe von Studierenden, deren Zahl ebenfalls beachtlich ist: Wirtschaftswissenschaftler. Etwa ein Sechstel der Studierenden, also rund eine halbe Million, hat sich für ein Studium der BWL, VWL, Wirtschaftsingenieurwesen oder Wirtschaftsinformatik eingeschrieben. Doch was ist mit denjenigen, die das Studium abbrechen?
Warum brechen so viele ihr Studium ab?
Die Abbrecherquote bei den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen ist alarmierend hoch. Jeder vierte Bachelor-Studierende dieser Fächergruppe verlässt die Hochschule ohne Abschluss. An den Universitäten liegt diese Quote sogar bei 30 Prozent. Doch woran liegt das? Eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) aus dem Jahr 2016 hat die Gründe näher untersucht.
Die Ergebnisse zeigen, dass neben Leistungsproblemen auch mangelnde Motivation und der Wunsch nach mehr praktischer Tätigkeit zu den Hauptgründen für den Studienabbruch gehören. Besonders betroffen sind Studierende mit Migrationshintergrund und solche aus Nicht-Akademikerhaushalten. Diese Zahlen stammen jedoch noch vor der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Online-Semestern, die viele Studierende zusätzlich frustriert haben.
Hohe Absagequoten bei Bewerbungen
Neben den hohen Abbrecherquoten gibt es noch ein weiteres Problem: Die hohen Absagequoten bei Bewerbungen. Gerade junge Akademiker, vor allem im betriebswirtschaftlichen Bereich, müssen oft viele Bewerbungen schreiben, um überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Und wenn sie schließlich einen Job finden, entspricht dieser häufig nicht ihren Erwartungen und Interessen. Viele enden schließlich in Sachbearbeiteraufgaben, die früher von ausgebildeten Industriekaufleuten erledigt wurden. Die hohe Anzahl an MBA-Studierenden, die nebenbei ihre Freizeit opfern, um für neue Bewerbungen attraktiver zu sein, ist ein weiterer Beweis für die Unzufriedenheit vieler Berufseinsteiger im betriebswirtschaftlichen Bereich.
Akademisierungswahn auf Kosten des Handwerks
Der Akademisierungswahn der deutschen Bildungspolitik hat auch negative Auswirkungen auf das duale berufsbildende System. Während Handwerksbetriebe und technisch orientierte Unternehmen händeringend nach praktisch ausgebildeten Fachkräften suchen, werden immer mehr berufliche Ausbildungsgänge akademisiert. Das duale System wird dadurch weiter ausgehöhlt und gefährdet Wohlstand und Fortschritt.
Die Beliebigkeit des BWL-Studiums
Ein weiterer Aspekt ist die Beliebigkeit des BWL-Studiums. Die Bologna-Reform hat zu einer enormen Vielfalt an Bachelor- und Masterstudiengängen geführt. Doch haben all diese Studiengänge wirklich eine nachhaltige Auswirkung auf den Arbeitsmarkt? Oftmals stellen Studierende während ihres Studiums fest, dass sie lieber eine praktische Tätigkeit ausüben möchten, anstatt weiterhin über Texten zu brüten. Dies zeigt deutlich, dass die Nachfrage nach technischen und gewerblichen Berufen trotz des akademischen Trends nach wie vor groß ist.
Die richtige Ausbildung für die richtigen Jobs
In Deutschland hängt der spätere Berufsweg stark von der gewählten Studienrichtung ab. In anderen Ländern wird der Hochschulabschluss hingegen eher als allgemeiner Bildungsnachweis angesehen, der für viele Jobs qualifiziert. Dieses Phänomen hat dazu beigetragen, dass die Studiengänge in Deutschland immer weiter ausdifferenziert wurden, in der Hoffnung, dass man für jeden Job das passende Studium absolviert hat. Doch letztendlich ist das Studium oft nur eine spezifische Berufsausbildung und keine allgemeine wissenschaftliche Bildung.
Fazit: Qualität vor Quantität in der Bildung
Die hohe Anzahl an BWL-Studierenden und Abiturienten in Deutschland wirft viele Fragen auf. Es ist wichtig, dass Bildung und Ausbildung in die richtige Richtung gehen. Der hohe Anteil an abgebrochenen Studiengängen und die Schwierigkeiten bei der Jobsuche sollten viel deutlicher kommuniziert werden. Es könnte auch sein, dass wir bereits zu viele Abiturienten “produzieren”. Die Erwartungen der Eltern und die Hoffnung auf ein höheres Einkommen mit einem Universitätsabschluss spielen dabei eine große Rolle.
Quellen:
- DZHW-Studie
- Abiturienten, immer mehr Spitzennoten – immer weniger Niveau: Deutschland im Akademisierungswahn