Auf dem Couchtisch stehen vier große Einweckgläser, gefüllt mit Marihuana-Blüten. Sie sind mit Aufklebern beschriftet: “Critical Kush” steht auf dem größten. Beim Glas mit “Anonymous Kush” sticht die Beschriftung ins Auge: “5,50€/g, -40 %” steht in roter Schrift darauf, “Weihnachtsrabatt”. Ein kleiner Spaß, den sich Sarah und Dennis um die Feiertage herum erlaubt haben. Eigentlich heißen die beiden anders, aus Sorge vor Strafverfolgung wollen sie ihre echten Namen und ihren Wohnort nicht preisgeben. Der Redaktion sind sie bekannt.
Durch Corona zu Dealern geworden
Zu Dealern wurde das Paar durch die Corona-Pandemie. Dennis wurde im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 in Kurzarbeit geschickt. Zuvor war er als Veranstaltungstechniker ständig auf Jobs in ganz Deutschland unterwegs. Sarah bezieht Hartz IV, wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau, was sie nach ihrem Studium der Ernährungswissenschaften machen sollte. Zur selben Zeit hatte sich ein Freund der beiden dazu entschieden, “sein Geschäft” mit dem Gras aufzugeben. Zu stressig war ihm die Sache geworden, zu aufwändig. Nach kurzer Bedenkzeit übernahmen Sarah und Dennis.
Sarah beschreibt ihren Einstieg ins Cannabisgeschäft als spontane Aktion, beim ersten Deal habe sie gezittert. Doch sie brauchte Geld, wie sie sagt. Sie hatte den Wunsch, sich während ihrer Ausbildung Lernmaterialien und zusätzliche Weiterbildungen zu bezahlen. Dennis hingegen hatte den Plan, sich mit der Veranstaltungstechnik selbstständig machen. Die Pandemie machte beiden einen Strich durch die Rechnung.
Dennis hat vor rund zehn Jahren schon mal mit Drogen gedealt, damals war er 18 Jahre alt. Allerdings konsumierte er zu dieser Zeit auch selbst – Cannabis und chemische Drogen. Heute ist er seit Jahren clean, kifft nicht, nimmt nichts Härteres. Auch Sarah kifft nicht mehr. Die 29-Jährige hat mit 24 aufgehört. Gedealt hat sie bis vor gut eineinhalb Jahren aber selbst nicht. Dennis verkaufte auch weiter Gras, als er clean wurde. “Da habe ich gemerkt: Man kann damit ja wirklich Geld machen”, sagt er.
Entsteht unter Kiffern bald eine Zwei-Klassen-Gesellschaft?
Sarah und Dennis zeichnen bei der Preisentwicklung vor allem ein Szenario: Gras wird für die Konsument:innen deutlich teurer als bisher. Sie schätzen, dass der Graspreis auf weit über zehn Euro pro Gramm steigen wird. Denn nicht nur die Qualität der Ware hat ihren Preis. Zertifikate über die Qualität und die offiziellen Lieferwege, die genommen werden müssen, würden, neben der geplanten Cannabissteuer, ebenfalls eingepreist werden.
Dass das Geschäftsmodell der Schwarzhändler ausstirbt, ist also unwahrscheinlich. Großdealer und skrupellose Händler werden den Preis für ihr Cannabis so sehr drücken können, dass Ärmere bei ihnen kaufen werden. Etwa, indem sie die Ware, wie bisher auch, strecken.
Das Düsseldorf Institute for Competition Economics hat anhand des geschätzten Cannabisbedarfs in Deutschland für das Jahr 2021 – der bei 400 Tonnen liegt – die Steuereinnahmen nach Steuerart berechnet. Demnach könnte der deutsche Staat rund 2,8 Milliarden Euro an Steuern pro Jahr einnehmen.
In diesem Szenario könnte ein Zwei-Klassen-Markt entstehen: Kaufkräftigere Konsument:innen, die sich die Preise im zertifizierten Cannabis-Shop leisten können, werden dort kaufen, zudem professionelle Beratung in Anspruch nehmen und in den Genuss von “sauberem” Gras kommen. Die, die sich die legalen Preise nicht leisten können, werden weiterhin auf den Schwarzmarkt angewiesen sein – mit allen gesundheitlichen Nachteilen, die damit einhergehen.
Wie überführt man einen Schwarzmarkt in die Legalität?
Die Überführung eines in der Illegalität entstandenen Marktes in legale Muster wird immer Ungewissheiten bergen. Vieles könne allerdings vom Gesetzgeber reguliert werden, sagt Hanfverbandschef Wurth. Auch, wie stark der Schwarzmarkt bleibt.
Wurth erklärt das damit, dass der Aufbau der Logistik – von der Produktion über die Vertriebswege bis zu den Verkaufsstellen – in Kanada nur sehr schleppend anlief. Die Versorgung stockte. Umgehen könnte man das in Deutschland, indem man Dealer – solche wie Sarah und Dennis – anspreche, sie etwa bei der Gründung von Firmen unterstütze. Die Versorgungsstrukturen seien schließlich da. Nur müssen eben Anmeldungen beim Finanzamt gemacht und Zertifizierungen eingeholt werden.
Die Landwirte, die schon jetzt Hanf anbauen und Expertise auf dem Gebiet mitbringen, müssten ebenfalls “abgeholt” werden, sagt Wurth – aber auch effektiv kontrolliert. Er bezeichnet die Kontrolle der Bauern als die größte Herausforderung bei der Legalisierung – weil diese an der Quelle sitzen und leicht Ware auf den Schwarzmarkt schleusen können.
Ist legal erworbenes Cannabis wirklich “gesünder”?
Das Paar versucht, seine eigene Qualitätskontrolle durchzuführen. Es lässt neue Sorten, bevor es sie in ihr Sortiment aufnimmt, von Testern ausprobieren, recherchiert die Inhaltsstoffe der verschiedenen Cannabis-Sorten nach und nimmt im Zweifelsfall Sorten auch wieder aus dem Angebot.
Doch auch bei “sauberem” Gras ist entscheidend, was drin ist. Das Verhältnis der Inhaltsstoffe wie das psychoaktive Tetrahydrocannabinol (THC) oder Cannabidiol kann Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.
Die Intransparenz auf dem Schwarzmarkt entsteht durch lange Lieferketten, die undurchsichtig und kaum nachzuvollziehen sind. Wo das Gras, das Sarah und Dennis kaufen oder verkaufen eigentlich herkommt? Abschließend beantworten können sie die Frage nicht. Die beiden können maximal vier Schritte der Lieferkette zurückverfolgen, sagen sie. Danach verwischt die Spur. Ob die angegebene Sorte stimmt? Vielleicht. Ob das Gras gestreckt wurde? Das finden die Konsumenten im Zweifel erst beim Rauchen heraus.
Kunden zufriedenzustellen ist in der Branche nicht nur finanziell von Bedeutung. Klar, zufriedene Kunden kommen wieder. Aber unzufriedene Kunden können nicht einfach eine schlechte Google-Bewertung abgeben – es könnte viel schlimmer kommen, sagt Dennis. “Wenn Dealer hops gehen” – er meint damit: von der Polizei erwischt werden – “dann oft, weil unzufriedene Kunden sie angeschwärzt haben.” Sarah und Dennis verstehen sich als Geschäftsleute, die Wert auf guten Kundenservice, Nachhaltigkeit und die Qualität ihrer Ware legen.
Die beiden haben sich für das vergleichsweise langsame Geld entschieden. Dafür, nur an einen kleinen Kundenstamm zu verkaufen und den Verkaufsverkehr in ihrer Wohnung begrenzt zu halten. Dafür, ihr Kapital in kleinen Schritten zu erhöhen. Sie haben “mit nichts angefangen”, wie sie sagen.
Nach gut eineinhalb Jahren haben die beiden rund 25.000 Euro angespart. Dennis will damit in seine Firma investieren, Sarah ihre Weiterbildung bezahlen – und ihre Mutter entlasten, die sie lange finanziell unterstützte. Beide blicken auf die letzten eineinhalb Jahre als Erfolg zurück.
Nun, wo die Pandemie langsam abebbt und der Alltag zurückkehrt, sei das Dealen zur Belastung geworden. Aber das Geschäft bleibt im engsten Kreis. Sie übergeben es an einen Freund, so wie sie ihr Geschäft damals von einem Freund übernommen haben. Den zwei Kund:innen, die auf ihrer Wohnzimmercouch sitzen, erzählen sie, dass sie aufhören. “Oh nein, wie schade!”, sagt eine. “Aber wenn ihr wollt, geben wir euren Kontakt an unseren Nachfolger weiter”, sagt Sarah. Eine der beiden nickt zufrieden. Vielleicht kaufen sie bald auch einfach im Laden.