Die Hitlerjugend war eine der mächtigsten Bewegungen im nationalsozialistischen Deutschland. Sie hatte das Ziel, Kinder und Jugendliche zu indoktrinieren, sie auf den Krieg vorzubereiten und sie zu loyalen Nazis zu machen. Wie sich zeigte, gelang es der Organisation, ganze Generationen von Kindern in ihren Bann zu ziehen und zu fanatischen Anhängern des Regimes zu machen.
Der Weg von den Pfadfindern zur Hitlerjugend
Als Hitler 1933 an die Macht kam, gab es bereits Hunderttausende von Kindern und Jugendlichen, die Mitglieder von Jugendorganisationen wie den Pfadfindern waren. Die Pfadfinderbewegung war in England entstanden und hatte sich schnell auch in Deutschland verbreitet. Doch die Nazis hatten bereits seit 1922 eine eigene Jugendorganisation aufgebaut, um Mitglieder für ihre paramilitärische Strukturen zu rekrutieren. Mit ihrer Machtergreifung begannen die Nazis den Druck auf die bestehenden Jugendorganisationen zu erhöhen.
Im Jahr 1937 wurden die Pfadfinder schließlich verboten und jede nicht-jüdische Jugendliche in Deutschland musste der Hitlerjugend beitreten. Max Ebel, ein junger Pfadfinder, weigerte sich jedoch. Diese Entscheidung sollte sein Leben für immer verändern.
Der Preis für die Ablehnung
Max Ebel wurde von Mitgliedern der Hitlerjugend attackiert. In einem verzweifelten Kampf ums Überleben wurde er mit einem Messer in die Hand gestochen. Doch Ebel kämpfte zurück, schnappte sich das Messer und verletzte einen der Angreifer am Gesicht. Anschließend erkannte er, dass sein Leben in Gefahr war, und floh aus Deutschland. Später nahm er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an.
Ebel war nur einer von Millionen junger Deutscher, deren Leben durch die Hitlerjugend geprägt wurde. Die Organisation, die dazu diente, Kinder in Hitlers Ideologie zu indoktrinieren und sie dann in den Krieg zu schicken, hinterließ eine dauerhafte geistige und emotionale Wirkung auf ihre Mitglieder.
Die Macht der Hitlerjugend
Die Hitlerjugend wuchs rasch an und hatte 1933 bereits 50.000 Mitglieder. Bis zum Ende des Jahres 1933 waren es über 2 Millionen Jugendliche. Im Laufe der 1930er Jahre verboten die Nazis nach und nach alle anderen Jugendorganisationen in Deutschland und zwangen die Mitglieder, der Hitlerjugend beizutreten. Jüdischen Kindern war die Teilnahme verboten.
Diese Zwangsmitgliedschaft hatte nicht nur symbolischen Charakter, sondern auch praktische Auswirkungen. Da alle anderen Jugendorganisationen verboten waren, war der Beitritt zur Hitlerjugend die einzige Möglichkeit, Erfahrungen in einer Jugendbewegung zu sammeln. Kinder, die sich weigerten, der Hitlerjugend beizutreten, wurden ausgegrenzt und bestraft. Bis zum Jahr 1939 waren mehr als 90 Prozent der deutschen Kinder Mitglieder dieser Organisation.
Für die Nazis hatte die Hitlerjugend noch einen weiteren Nutzen. Durch die Beeinflussung der jungen Menschen in ihrem prägendsten Alter konnte die Ideologie des Regimes in die Familien getragen werden. Die Familie galt als Hindernis für die Ziele der Nazi-Partei, da sie in der Regel außerhalb der politischen Einflusssphäre stand. Die Hitlerjugend war ein Instrument, um Hitlers Ideologie in das familiäre Umfeld zu tragen. Einige Mitglieder der Hitlerjugend denunzierten sogar ihre eigenen Eltern, wenn diese sich nicht konform mit den Zielen des Regimes verhielten.
Die Transformation der Jugend
Obwohl die Pfadfinderorganisation verboten wurde, übernahmen die Nazis viele ihrer Aktivitäten und Traditionen und integrierten sie in die Hitlerjugend. Die Mitglieder der Hitlerjugend unternahmen Ausflüge, sangen, bastelten und gingen wandern – ähnlich wie bei den Pfadfindern. Es gab Sommerlager, Uniformen, Gelöbnisse und Lagerfeuergeschichten.
Im Laufe der Zeit änderten sich die Aktivitäten jedoch. Während die Mädchengruppen noch immer auf Dinge wie rhythmische Gymnastik und Wohltätigkeitsaktionen fokussierten, wurde aus den Jungenorganisationen allmählich eine Art Mini-Militär. Sie wurden militärisch diszipliniert und in Bereichen wie Waffenkunde und Überlebenstraining ausgebildet. Propaganda spielte ebenfalls eine bedeutende Rolle und förderte eine fast religiöse Hingabe zum Führer.
Die Erfahrung von Alfons Heck ist dafür ein eindrückliches Beispiel. Er erinnerte sich in den 1980er Jahren gegenüber der Boston Globe daran, wie er es kaum erwarten konnte, ein vollwertiges Mitglied der Hitlerjugend zu werden. Er genoss das Marschieren, das Singen und die Teilnahme an Kundgebungen. “Ich gehörte Adolf Hitler mit Herz und Seele”, erzählte er. Es dauerte Jahre, bis er sich von dieser Indoktrination loslösen konnte.
Es gab jedoch auch Jungen, die sich der Hitlerjugend verweigerten und ihre Jugendgruppen im Untergrund weiterführten. Eine dieser Gruppen, die Edelweißpiraten, griff sogar Mitglieder der Hitlerjugend an und arbeitete daran, ihre Aktionen zu sabotieren. Etwa 5.000 Edelweißpiraten leisteten Widerstand gegen die Nazis, indem sie anti-kriegs-propaganda an Wände schrieben und auf gewaltfreie oder gewaltsame Weise Widerstand leisteten. 1944 wurden sechs von ihnen in Köln ohne Gerichtsverfahren gehängt, weil sie verdächtigt wurden, am Schwarzmarkt beteiligt zu sein. Auch in besetzten Ländern leisteten Jugendliche Widerstand: In Frankreich retteten Boy Scouts beispielsweise 40 jüdische Kinder vor der Deportation. In Auschwitz widersetzten sich polnische Pfadfinder den Nazis und konnten sogar fliehen.
Vom HJ Mitglied zum Soldaten
Im Laufe des Krieges wurde deutlich, dass das eigentliche Ziel der Hitlerjugend darin bestand, mehr Soldaten für das nationalsozialistische Deutschland zu rekrutieren. Kinder, die jahrelang mit Nazi-Ideologie indoktriniert worden waren, wurden zu gehorsamen und fanatischen Soldaten. Ab 1943 wurden alle Jungen ab 17 Jahren zwangsweise zum Militärdienst eingezogen.
1945 zwang die verzweifelte Nazi-Führung jüngere Jungen dazu, die Schule abzubrechen und an die Front zu gehen. Diese unerfahrenen Kinder wurden im Grunde genommen zu Selbstmordmissionen geschickt – und bei Verweigerung hingerichtet. Diejenigen, die überlebten, wurden von den Alliierten streng bestraft.
Nach dem Krieg wurde die Hitlerjugend aufgelöst. Heute gilt die Organisation als eine der zentralen und beunruhigendsten Facetten des Nazi-Regimes – ein Beweis dafür, dass eine totalitäre Staatsmacht Kinder instrumentalisieren und sie für ihre schrecklichen Ideologien missbrauchen kann.